Gestern im Gericht
: Bewährungsstrafe für skrupellosen Entführer

Chromosome schützen vor Knast

„Wir haben Leute mit ähnlichen Delikten durchaus bei uns im Maßregelvollzug.“ Nahlah Saimeh, Chefärztin der forensischen Abteilung am Zentralkrankenhaus Ost, machte gestern als Gutachterin vor dem Amtsgericht in Bremen-Blumenthal keinen Hehl daraus, was dem 24-jährigen Angeklagten auch hätte drohen können. Björn K. habe „kein Maß für Gewalttätigkeit“, sagte Saimeh. Einen Drogensüchtigen etwa, den ein Bekannter beschuldigt hatte, einen Rucksack geklaut zu haben, verfrachteten K. und ein Kumpel in ein Auto. In einer Seitenstraße zwangen sie den Entführten, sich zu entkleiden und auf dem von kleinen Steinen bedeckten Asphalt zu wälzen, bespuckten und schlugen ihn. Erst eine zufällige Verkehrskontrolle befreite den Gedemütigten.

Es war nicht die erste Entführung, an der K. beteiligt war. Als seine Ex-Freundin von einem Bekannten verprügelt wurde, versetzte K. ihr noch ein paar weitere Tritte. Und auf nächtlichen Streiftouren durch Bremen-Nord zündete er insgesamt sieben Papiercontainer an. Diebstähle und mehrfachen Betrug warf ihm die Staatsanwaltschaft ebenfalls vor.

Dass Björn K. trotzdem mit einer Bewährungsstrafe davon kam, hat er seiner genetischen Anomalie zu verdanken. Statt 46 hat der berufslose Bremen-Norder nämlich 48 Chromosomen, je ein X und ein Y mehr als normalerweise vorhanden. „Kleinfelder Syndrom“ heißt das Phänomen im Fachjargon, das bei einem von 500 bis 700 Männern vorkommt und zu einem feminineren Körperbau führt. Laut Gutachterin Saimeh gehört Björn K. allerdings zu den zwei Prozent der am „Kleinfelder Syndrom“ Erkrankten, die zusätzlich noch eine besondere dissoziale Entwicklung aufweisen. Willensschwäche, ein „deutliches emotionales Reifungsdefizit“, wenig Reflexionsvermögen und eine „geringe Ausprägung der moralischen Instanz“, diagnostizierte sie. Vieles spreche dafür, dass bei K. die genetische Anomalie Ursache seiner schweren Persönlichkeitsstörung sei – weswegen man ihm eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit attestieren könne.

Dieser Ansicht schlossen sich nicht nur Staatsanwalt und Verteidiger, sondern auch die Richter an. Wegen räuberischer Erpressung, Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Nötigung und Körperverletzung, gefährlicher Körperverletzung, falscher Anschuldigungen, Missbrauch des Notrufs, siebenfacher Sachbeschädigung und zehnfachen Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung verurteilten sie Björn K. zu zwei Jahren Freiheitsstrafe, ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung, sowie zu 540 Stunden gemeinnütziger Arbeit. K. muss sich darüber hinaus schnell um eine Verhaltenstherapie bemühen.

Entgegen der Einschätzung der psychologischen Gutachterin sahen die Richter noch eine „günstige Sozialprognose“. Ohne diese freilich hätten sie auch keine Bewährungsstrafe aussprechen dürfen: K. wäre für ein paar Jahre im Knast gelandet – Sozialprognose eher negativ.

Bei der Urteilsverkündung hob K. den Kopf und hörte aufmerksam zu. „Sie dürfen keine neuen Straftaten verüben“, mahnte Richter Pawlik. Björn K. nickte. sim