Vertrauensbildende Klebestreifen

Hand in Hand mit den Beteiligten arbeiten, das Machbare im Lo-Fi-Bereich austesten, die Spuren der Herstellung sichtbar lassen: Mit einem Himmel aus Silberfolie und Säulen aus Kaffeebechern bespielt Michael Beutler die Galerie Barbara Wien

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Nichts bleibt ohne Folgen. Das war mal ein physikalischer Lehrsatz und ist ein ergiebiges Prinzip dort, wo Leben in Kunst umgewandelt wird. Kaffeebecher extra stark, um sich an der heißen Plörre nicht die Finger zu verbrennen, bestimmen mit dem Boom der Coffee-Bars plötzlich das Straßenbild Mitte: Wie da jemand mit mehreren Bechern des Weges langeilt, sieht immer sehr nach aufstrebendem kleinem Unternehmen und dienstleistungsfreudig aus.

Dass die Becher gestapelt nicht nur das Vergehen der Zeit, sondern auch des Hand-in-Hand-Arbeiten der Beteiligten symbolisieren könnten, hat jetzt der Künstler Michael Beutler bedacht. „Mit Christoph und Lucie“ heißt eine Skulptur aus drei Pappbechersäulen, die von ihm und eben seinen Freunden Christoph und Lucie gebaut wurden. Die Säulen gleichen Spinnenbein und Schachtelhalm und sehen mehr nach organischer Gliederkette denn nach architektonischer Stabilität aus. Das Gerüst und die Kiste zwischen ihnen waren notwendig, um langsam in die Höhe zu kommen. Als Teil der Skulptur sind sie programmatisch gemeint. Was man braucht, damit eine Form entstehen kann, soll sichtbar bleiben.

Michael Beutler ist jung (geboren 1976), gerade nach Berlin gezogen und Absolvent der Frankfurter Städelschule, wo Georg Herold und Heimo Zobernig lehren. Barbara Wien, die seit fünfzehn Jahren in ihrer Buchhandlung und Galerie Material zur Veränderung des Begriffs der Skulptur, der Konzeptkunst und zur Geschichte des öffentlichen Raumes anbietet, eröffnet mit seiner Ausstellung ihre erweiterten Galerieräume. Das hat etwas von einer Initiation: Die Räume werden markiert als Orte des Vorläufigen, des Konzeptuellen und Transitorischen. Beutler gehört zu einer Generation, die lange nach den Pionieren der Auflösung fester Formen kam, die in Wiens Buchhandlung eine große Rolle spielen – mit Katalogen, Dokumenten, Plakaten, Editionen und Künstlerbüchern.

Einmal hat Beutler, angetan von der Ressourcen sparenden Ökonomie japanischer Bautradition, eine Zickzackbrücke gebaut, mit handgesägten Holzverbindungen. Die stete Änderung der Gehrichtung ist als Irritation der bösen Geister gedacht, die nicht im Zickzack laufen können. In der Frankfurter Galerie Neff zeigte Beutler zu Beginn des Jahres eine Maschine zur Kunstherstellung, die Metallstreifen mit Stoff umwickelt und in den Raum abspult.

Solide wirken Beutlers Skulpturen nicht und sie sind auch nicht vertrauensbildend proportioniert. Man schaut ein wenig vorsichtig und entdeckt dabei die Spuren der Herstellung: Über dem „Alurolldach“ aus dünner Küchenfolie, in der sich die Buchhandlung im Untergeschoss spiegelt, werden zum Beispiel die Vorrichtungen zum Abwickeln des Klebebandes, ohne das die Folie zerreißen würde, sichtbar. Dieses Austesten des Machbaren im Lo-Fi-Bereich versteht Beutler auch als Hinterfragen der Standardisierung in der ästhetischen Alltagsgestaltung.

Demnächst wird der neue Katalog erscheinen, den Barbara Wien jedes Jahr zu ihren Editionen und der Buchhandlung herausgibt. Auf den Umschlag kommt die Reproduktion eines Teppichs, den Ingrid Wiener nach einem Faxwechsel mit Dieter Roth gewebt hat. Wieners Teppiche sind so etwas wie Konzeptkunst in zweiter Potenz, immer entstanden im Austausch mit anderen. Ihrem Umgang mit den Gedanken der anderen gilt die nächste Ausstellung.

Michael Beutler bei Barbara Wien, Linienstr. 158, 10115 Berlin, Di.–Fr. 14–19 Uhr, Sa. 12–18 Uhr, bis 23. April