Alles egal, es geht nur ums Leben

Von einem Augenblick der Sehnsucht träumen, auf wüst machen und sich dann ins professionell distanzierte Spiel retten: Armin Petras versucht in den Kammerspielen des Deutschen Theaters, „Die Gerechten“ von Albert Camus zu entstauben

von ESTHER SLEVOGT

Eine Gruppe junger russischer Revolutionäre plant den Mord an einem Vertreter des Zarenregimes. Die Mission ist klar: unser Russland soll schöner werden. Und weil es vorläufig noch ein Schweinesystem ist, fallen die Mittel nicht zimperlich aus: Janek Kaljajew soll eine Bombe in die Kalesche des Großfürsten werfen. Als dort aber am Tag X nicht bloß der Großfürst selbst, sondern auch dessen blutjunge Neffen sitzen, wird im Attentäter das Gewissen aktiv. Unschuldige Kinder zu töten hält er als Mittel zu Verbesserung der Welt für eher ungeeignet – womit wir bereits mitten im ethischen Konflikt gelandet sind, den Albert Camus mit seinem 1949 entstandenen Drama „Die Gerechten“ anhand eines historisch verbrieften Vorfalls durchgespielt hat. Camus’ leidenschaftlich vertretenen Überzeugung, dass das Ziel eben nicht die Mittel heiligt, stand im krassen Gegensatz zur revolutionären Dramatik der Zeit, in der Autoren wie Brecht die Unterordnung des persönlichen Schicksals unter die Ziele der Partei und der Revolution idealisierten und dabei revolutionäre Kollateralschäden billigend in Kauf genommen haben.

In Zeiten, wo der Terror die Weltpolitik lenkt wie nie zuvor, ist „Die Gerechten“ wirklich ein aktuelles Stück. Man geht gespannt in die Kammerspiele des Deutschen Theaters: auch deshalb, weil auf den Bühnen der Republik in den letzten Monaten immer wieder höchst erhellend Stücke der Nachkriegszeit entstaubt worden sind.

Doch dann kommt Armin Petras und glaubt, dass es schon reicht, wenn man ein bisschen improvisiert und die Schauspieler herumalbern lässt, um dem Drama eine zeitgenössische Haltung abzugewinnen. Wir blicken auf eine im Bau befindliche Terrorzentrale aus Sperrholz. Die Löcher für Monitore und Computer auf dem Kommandopult sind bereits ausgesägt, bloß ist die Hardware noch nicht eingebaut. Dafür bevölkern Jammerlappen die Szene, kraftmeiernde Loser im Anarchistenkostüm.

Die Schauspieler dieses nicht gearbeiteten Abends sind nicht zu beneiden. Besonders die Jüngeren haben Petras’ Gedankenarmut wenig entgegenzusetzen. Nele Rosetz muss als junge Bombenbauerin Dora im weißen Laborkittel dauernd ihre Brille auf der Nase zurechtrücken, derweil sie von einem Augenblick der Sehnsucht träumt. Thomas Schmidt alias Revolutionär Stepan wurde von Annette Riedel (Kostüme) als Che Guevara verkleidet. Thomas Lawinsky als junger Attentäter Kaljajew macht auf wüst, ohne das dies irgendwie behilflich wäre. Die Älteren, aus dem einst hochkarätigen DT-Ensemble stammenden Spieler Margit Bendokat (Borja), Christine Schorn (Skuratowa), Katrin Klein (Großfürstin) und Michael Schweighöfer (Woinow) retten sich in ein professionell distanziertes Spiel, wobei die von Schweighöfer launig vorgetragene Trauer, vor elf Jahren nicht Frank Castorfs Angebot angenommen zu haben, mit ihm an die Volksbühne zu gehen, die Untiefen des Abends von ihrer tragischsten Seite beleuchtete.

Dabei war das von Petras dialektisch gemeint: Nämlich die moralische Entscheidung, um die herum das Stück gebaut ist, auf das ganz Private herunterzurechnen. Bloß: So schlau ist Albert Camus auch schon gewesen, und immer mehr verdichtet sich der Eindruck, dass Petras weder mit dem Drama selbst noch mit dessen ethischem Konflikt etwas anfangen kann. Am Ende werden Camus’ Revolutionäre, Sophie Scholl oder Graf Stauffenberg mit Attentatsopfern wie Ghandi oder Martin Luther King über einen Kamm geschoren. Alles egal. Es geht nur ums Leben, teilt uns Herr Petras mit und lässt am Ende, als der Attentäter schon am Galgen baumelt, Margit Bendokat einen Kuchen aus dem Ofen holen. „Aufgegangen!“ freut sie sich. Soll heißen: Wenn sich Leute mehr mit ihren Kuchen und weniger mit der Politik befassen würden, könnte unsere Welt vielleicht wirklich schöner werden. Am Ende hat Petras nicht mal den Schauspielern seinen Respekt erwiesen, die für seine Arbeit ihre Köpfe hinhalten mussten, und blieb dem Schlussapplaus fern.

Nächste Vorstellungen: 29., 30. 1., 1.2., jeweils 20 Uhr, Kammerspiele des Deutschen Theaters, Mitte