„Die haben keine Prostata“

In Wilhelmshaven sollte heute „Warten auf Godot“ aufgeführt werden – auch Frauen sollten mitspielen. Die Beckett-Erben haben deshalb die Aufführung untersagt. Stimmen zum Spiel

Eigentlich sollte heute Abend in Wilhelmshaven eine Inszenierung von „Warten auf Godot“ Premiere haben – mit zwei Frauen in tragenden Rollen. Doch Samuel Beckett wollte keine Frauen im Stück. Also hat der S. Fischer Verlag im Auftrag der Beckett-Erben die Aufführung verhindert. Jetzt wird das Stück eben vorgelesen.

Der Mann vom Verlag

Uwe Carstensen, Theaterabteilung S. Fischer Verlag

Vermutlich sind Sie die Fragen zum Aufführungsverbot leid.

Nein, damit habe ich gar keine Probleme. Es gab Leute bis hin nach Amerika, die mich dazu beglückwünscht haben. Ich brauche diesen Beifall nicht: Urheberrecht ist Urheberrecht.

Für das Theater stehen Sie jetzt als Verhinderer da.

Es tut mir sehr Leid, ich habe alles probiert, um noch eine Möglichkeit zu finden. Schließlich war ich lange Dramaturg, ich weiß, was das für ein Theater bedeutet, und bin in der Landschaft eigentlich eher als Ermöglicher verschrien.

Diesmal ja nicht.

Ich will ja nur die Autoren ein bisschen schützen. Natürlich will ich, dass die Stücke gespielt werden, aber wenn so rigide damit umgegangen wird, kann ich das nicht mehr.

Fahren Sie zur trotzdem zur Lesung nach Wilhelmshaven?

Ich habe zwei Karten reserviert.

Der Beckett-Experte

Werner Huber, Professor für Anglistik an der TU Chemnitz

Ziehen Beckett-Stücke Verbote magisch an?

Beckett an sich war ein sehr freundlicher Mann, humorvoll, höflich und sehr zuvorkommend. Aber er ist in den 80er-Jahren durch seine literarischen Agenten und Verlagsvertreter oft in Richtungen gedrängt worden, die eigentlich seinem Charakter widersprochen haben.

Aber er selbst wollte explizit keine Umbesetzung.

Er hat Charaktere mit Musikinstrumenten verglichen und damit war klar: Ich kann nicht eine Geige durch ein Horn ersetzen. Man hat ihn einmal gefragt: „Warum müssen die Figuren in Warten auf Godot Männer sein?“, und Beckett hat geantwortet: „Frauen haben keine Prostata.“

Hmm.

Wenn Sie das Stück angucken, erklärt sich das. Didi und Gogo müssen ständig zur Toilette und der eine sagt zum anderen: Du musst da raus, hinter den Kulissen geht es rechts herum“, das verleiht dem Stück eine Dimension von Metadrama: Die beiden sind Spieler im Spiel.

Können Sie sich „Warten auf Godot“ mit Frauen vorstellen?

Für mich geht es dort mehr um allegorische als um Paarprobleme. Aber ich glaube, das Stück ist stark genug, zu zeigen, was geht und was nicht.

Der Regisseur

Philipp Kochheim, Regisseur an der Landesbühne Niedersachsen Nord

Haben Sie sich gefreut, dass sich so viele Zeitungen für das Stück interessieren?

Wir hätten uns mehr gefreut, wenn wir das Stück wirklich hätten aufführen können. Schließlich haben wir das nicht gemacht, um einen Skandal zu produzieren, sondern weil wir an diese Version glauben.

Wie sind Sie darauf gekommen, Estragon und Lucky mit Frauen zu besetzen?

Estragon und Lucky sind Abkömmlinge einer langen Reihe von Komikerpaaren wie Stan und Oli und sie beziehen einen großen Teil ihrer Komik aus ihrem eheähnlichen Verhältnis. Da liegt es ganz nahe, das auf die Grundidee zurückzuführen, nämlich die Karikatur einer Mann-Frau-Beziehung.

Sie haben aus Becketts Bühnenbild – Baum und Landstraße – ein modernes Apartment gemacht. War auch das Stein des Anstoßes?

Überhaupt nicht. Das ist ja gerade das Absurde, auch wenn ich es mit Männern besetzt und daraus eine Schwulengeschichte gemacht hätte, hätte keiner etwas gesagt. Aber eine Aufführung, die eine sehr genaue, im verrücktesten Sinn sehr texttreue Arbeit macht, wird verboten.

Die Schauspielerin

Katrin Rehberg, hätte den Estragon spielen sollen

Wann haben Sie erfahren, dass es keine Aufführung geben wird?

Vor einer Woche.

Wie haben Sie reagiert?

Das ist schwierig zu sagen, ohne gleich pathetisch zu werden. Es war ein Schlag, der mich sehr getroffen hat. Da flossen schon viele Tränen.

Was bedeutet es denn für Sie, zu lesen statt zu spielen?

Man kommt sich erst einmal beschnitten vor. Aber man hat ja immerhin diese sechs Wochen Arbeit im Kopf und ich versuche, den Text so zu lesen.

Den Text kennen Sie ja längst auswendig – mussten Sie die Lesung da noch richtig proben?

Ja, das ist gar nicht so leicht. Bei der Lesung gibt es sehr strenge Auflagen: Wir dürfen uns nicht anfassen, nicht einmal anschauen, während die Inszenierung sehr körperlich war. Da kommt man sehr schnell in die Versuchung, doch die Hände zu bewegen und auf dem Stuhl herumzurutschen.

Der Intendant

Gerhard Hess, Intendant der Landesbühne Niedersachsen Nord

Müssen Sie sich jetzt fragen, ob Sie den Vertrag genau genug gelesen haben?

Nein, das war ein ganz normaler Vertrag, ohne besondere Bestimmungen zur Rollenbesetzung mit Männern oder Frauen. Und die werden häufig vertauscht.

Also kein Anlass zu Selbstvorwürfen?

Nein, wir sind eben nicht das kleine Theater in Norddeutschland, das im entscheidenden Moment verschlafen hat. Hier passiert etwas ganz Besonderes und deshalb wird so viel darüber geschrieben.

Können Sie sich vorstellen, vor Gericht zu gehen, so wie es Kollegen in den Niederlanden gemacht haben?

Es ist eine rechtliche Grauzone – aber wir sind ein kleines Haus und haben nicht das Geld, um einen großen Prozess zu führen, den wir dann möglicherweise verlieren.

INTERVIEWS: FRIEDERIKE GRÄFF