Größenwahn mit Methode

Die sächsische Olympiabewerbung soll vor allem der Stimmung im Land aufhelfen. Heute legtdie Evaluierungskommission des NOK in Frankfurt ihren Bericht vor, Leipzig gibt sich optimistisch

aus Leipzig MICHAEL BARTSCH

In Sachsen auch nur leise Zweifel am Sinn der Leipziger Olympiabewerbung 2012 zu äußern, käme etwa der Zubereitung eines Rumpsteaks in Neu-Delhi gleich. Der Olympiataumel kennt keine Grenzen – und keine Parteien. Da bleibt niemand draußen, der nicht seinen politischen Selbstmord plante. Wer sich für einigermaßen prominent hält, lässt sich mit einem markigen Spruch in Zeitungen und Zeitschriften ablichten und kassiert nebenbei etwas vom Imageprofit der fünf Ringe.

Selbstverständlich plädiert der Exsachse und Fußballer des Jahres Michael Ballack für die „große Sache“. Und Exboxer Muhammad Ali wäre es „eine sehr große Ehre und eine aufrichtige Freude, 2012 die Olympische Flamme in Leipzig zu entzünden“. Der in der Spendenakquisition so erfahrene Uraltkanzler Helmut Kohl wird flankiert von seinem Exaußenminister Hans-Dietrich Genscher, Schriftsteller Erich Loest oder den „Prinzen“. Sogar Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit versichert dem Leipziger Genossen Wolfgang Tiefensee seine „Sympathie und Solidarität“. Wobei man nicht so genau weiß, ob dahinter nicht die blanke Schadenfreude steckt. Denn die gescheiterte Berlin-Bewerbung für Olympia 2000 kostete den Steuerzahler immerhin 200 Millionen Mark und zog einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss nach sich.

Hinter Leipzig aber stehen die Partnerstädte Riesa, Chemnitz und Dresden – und vor allem die Staatskasse des Freistaates. Vorsichtige 4,5 Millionen Euro kostet erst einmal die Teilnahme am innerdeutschen Wettlauf mit Düsseldorf, Frankfurt/Main, Hamburg und Stuttgart. Den entscheiden am 12. April die 139 Mitglieder des Nationalen Olympischen Komitees, heute legt in Frankfurt erst einmal die Evaluierungskommission des NOK ihren Bericht vor. Für den Fall des Sieges auch bei der IOC-Vergabe 2005, an den zu glauben mittlerweile patriotische sächsische Pflicht ist, musste die Landesregierung erst einmal 2,6 Milliarden Euro garantieren. Was ihr angesichts des Euphoriepotenzials im Freistaat offenbar leicht fiel. „Hier kalkuliert nicht nur der nüchterne Verstand, hier schlägt das Herz für Olympia“, zeigte sich sogar der kühle Rechner Ministerpräsident Georg Milbradt enthusiasmiert.

Der umtriebige Riesaer Oberbürgermeister Wolfram Köhler hatte die Olympiaidee in die Welt gesetzt. Eine „Machbarkeitsstudie“ der Landesregierung fiel wunschgemäß aus: Nichts ist den Sachsen unmöglich! Und was kommt „hinten raus“? Hier lieferte das Dortmunder Institut für sozialwissenschaftliche Technikforschung im Auftrag der IHK Leipzig die gewohnten euphorischen Prognosen. Blühende Landschaften rund um Leipzig inclusive 7.800 neuer Dauerarbeitsplätze und natürlich der riesige Imagegewinn, der in den Aufschwung Ost münden würde.

Skeptiker wie in anderen deutschen Städten sind in Sachsen so gut wie unbekannt. Hermann Winkler, Präsident des Landessportbundes Sachsen und CDU-Generalsekretär, freut sich über diesen „Standortvorteil“. Wer will schon als Ketzer am olympischen Feuer gebraten werden? Vorsichtige Zweifel waren im Sächsischen Landtag letztmals im November 2001 zu hören. Sachsen könnte sich überheben, warnte André Hahn, parlamentarischer Geschäftsführer der PDS-Landtagsfraktion. Und sollte man Mittel für eine mit hoher Wahrscheinlichkeit aussichtslose Bewerbung nicht besser für die direkte Sportförderung im Lande einsetzen?

Nicht genug der äußeren Feinde. Im Herbst fabrizierten die Leipziger auch noch ein Eigentor nach dem anderen. War zum Turnfest schon Geschäftsführer Volker Mattausch als früherer Stasi-Zuträger enttarnt worden, holte nun auch Sachsens Schwimm-Verbandschef Klaus Katzur die Vergangenheit ein. Zugleich musste Leipzig die für Mai 2003 geplanten deutschen Schwimm-Meisterschaften wegen Finanzierungsproblemen zurückgeben. Dann wackelte im November auch noch die Allianz der sächsischen Partnerstädte. Denn nach einer IOC-Forderung dürfen die Sportstätten nicht weiter als 55 Kilometer oder 60 Autominuten voneinander entfernt sein. Blieb für Chemnitz nur noch der Fußball und für Dresden ein bisschen Tennis und die Reiterei. In der Landeshauptstadt glaubte ohnehin nur ein knappes Drittel befragter Bürger an einen Bewerbungserfolg.

Sind „Spiele mit uns“ also nur sächsischer Größenwahn mit Methode? Zwei vernichtende Studien der Unternehmensberatung Berger und des Sportprofessors Gerhard Schewe sahen Leipzig weit abgeschlagen. Auf der Internet-Seite der Olympia-GmbH stimmen aber weiterhin 76 Prozent für die Bewerbung. Und deutschlandweit will das Magazin Stern 30 Prozent pro Leipzig ausgemacht haben! „Langsam“, bremst GmbH-Geschäftsführer Dirk Thärichen, „die Bevölkerung ist nicht das NOK.“ Alles komme nun auf die perfekte Inszenierung der Viertelstunden-Präsentation am 12. April an.

Von einem Mitleidsbonus für den entwicklungsbedürftigen Osten will er nichts wissen. Dem stimmt Sportbundpräsident Hermann Winkler zu. Vielleicht sei Leipzig sogar der Angstgegner für die westdeutschen Bewerber. Viele internationale Sportfunktionäre haben an der nach der Wende abgewickelten Hochschule für Körperkultur DHfK Leipzig studiert und brächten Sympathien ein. „Auch wenn die Bewerbung nicht erfolgreich ist, hat der Sport dadurch an Ansehen gewonnen“, konstatiert Winkler einen Minimalgewinn für Sachsen. „Wir machen Sachsen bekannter“, tröstet Ministerpräsident Milbradt.

Das klingt nicht verbissen. Weil es letztlich nicht um Olympia, sondern um einen Moralinstoß für Sachsen und den Osten geht. Die Fata Morgana, die motiviert und auf die man wacker zumarschieren kann. „Du hast ja ein Ziel vor den Augen“, sangen die FDJler einst. „Olympia kam als emotionales Ziel zur richtigen Zeit“, sagt Milbradt.