Bürger zu Haushaltspolitiker

Die Bürgerschaft diskutierte erstmals öffentlich die Beteiligung des Volkes an Finanzentscheidungen der Kommune

Es ist ein Trend, der in den vergangenen Jahren zunehmend mehr europäische Kommunen erreicht hat, zuletzt vor allem in Italien: Der so genannte „Bürgerhaushalt“, also die Beteiligung der Allgemeinheit an der Domäne der Parlamente – der Haushaltspolitik. Gestern diskutierte der Ausschuss für Bürgerbeteiligung und Beiratsangelegenheiten der Bürgerschaft erstmals öffentlich, ob solche Modelle auch in Bremen umsetzbar sind.

Europaweit entstanden seit 1994 über 100 verschiedene Bürgerhaushalte, in Deutschland etwa im grün regierten Freiburg oder im Berliner Bezirk Lichtenberg, der mit 250.000 EinwohnerInnen gut halb so groß ist wie Bremen. Und während in der andalusischen Hauptstadt Sevilla immerhin 14 von über 600 Millionen Euro des Stadtetats mit Hilfe von Bürgerbeteiligung vergeben werden, ist eine autonome finanzwirksame Entscheidungskompetenz der BürgerInnen weder in Lichtenberg noch in Freiburg vorgesehen.

Politikwissenschaftler Carsten Herzberg vom sozialwissenschaftlichen Forschungszentrum Centre Marc Bloch in Berlin warnte dann auch vor zu hohen Erwartungen an Beteiligungsverfahren. „Hier geht es vor allem um kleinteilige, quartiersnahe Maßnahmen.“ So können beispielsweise die Freiburger – aufkommensneutral – über die Gewichtung der einzelnen Etatposten debattieren: Weniger Geld wollten die BürgerInnen etwa für Theater, Kultur oder Friedhöfe ausgeben, mehr Geld indes für Schulen, Kindergärten und Betreuungsangebote.

Einen Schritt weiter geht das Lichtenberger Modell, das in den einzelnen Stadtteilen des Bezirks eine überschaubare Anzahl konkreter Vorschläge entwickelt. Diese müssen ein Mindestmaß an Zustimmung auf sich vereinigen – werden sie vom Parlament hernach abgelehnt, so ist dieses zumindest rechenschaftspflichtig. Insgesamt beteiligten sich in Lichtenberg im Laufe von vier Jahren durchschnittlich jeweils rund zwei Prozent der ansässigen Bevölkerung. Zugleich erwies sich das Verfahren selbst mit Kosten von 40 bis 50 Cent pro BürgerIn als vergleichsweise günstig. mnz