Zurück in die Zukunft

Von den Plakaten für die Weltjugendfestspiele bis zu Flyern für Technopartys: Der Bildband „Von der Partei zur Party“ widmet sich dem Fernsehturm als grafischem Symbol. Sendungsbewusstsein und Sendeleistung verbinden sich zu ikonischen Bildern

VON TOBIAS RAPP

1993 muss es gewesen sein, als ein Partyveranstalter das Telecafé im Fernsehturm am Alexanderplatz für einen Abend mietete. Es dauerte nicht lange und die Veranstaltung uferte aus. Es war nicht der Umstand, dass anstatt des Heimorgelspielers ein Klangforscher Beat-unterlegte Plockergeräusche durch die Räume schickte, die das leicht angegraute Personal in die Verzweiflung schickte.

Viel schlimmer für die Kellnerinnen war die anarchische Aneignung des Telecafés durch die Kinder vom Bahnhof Hackescher Markt. Da stieg man über die Absperrung, um sich in 200 Meter Höhe auf die Fenster zu legen und nach unten zu blicken. Die Drehung des Cafés um die eigene Achse wurde genutzt, um kleine Zettel für andere Tische auf das Geländer zu legen. Bis es keine Bierdeckel mehr gab und alle Welt damit beschäftigt war, die Nachrichten zu lesen, an denen man vorbeidrehte. Kurz darauf wurde das Café geschlossen, der Fernsehturm wurde renoviert. Es war eine denkwürdige Party. Sie signalisierte die Übernahme des alten Ostens durch die junge Mitte.

Blättert man elf Jahre später durch das wunderbare Buch „Von der Partei zur Party. Der Fernsehturm als grafisches Symbol“ von Dirk Berger, Ingo Müller und Sandra Siewert, so kann man betrachten, welches Alte da gerade verging und welches Junge sich da reckte und streckte. 170 grafische Bearbeitungen des Fernsehturms haben die Herausgeber zusammengetragen, ergänzt durch kurze Erläuterungen und Interviews mit den Grafikern, die den Fernsehturm zur zentralen Ikone der DDR machten.

Vom 20. Republikgeburtstag 1969, der mit der Vollendung des Turms zusammenfiel, über die Grafiken zu den Weltjugendfestspielen 1973, den Turm als Werbeemblem für Rundfunkgeräte, als Identifiktionssymbol für Kinder und für die deutsch-sowjetische Freundschaft bis zu den Plakaten für den 750. Geburtstag Berlins spiegelte sich die DDR gern und ausführlich im Glamour ihres spektakulärsten Gebäudes. Da gab es den volksdemokratischen Fernsehturm, jene realsozialistische Nachmittagsfamilienidylle mit Weltniveau. Aber auch den optimistischen Fernsehturm, jenes Stahl, Beton und Papier gewordene Bild dafür, wie sich die DDR ihre Zukunft vorstellte.

Doch das Buch dokumentiert nicht nur das. Es zeigt eben auch, wie sich die Clubszene seit dem Fall der Mauer des Symbols Fernsehturm bemächtigt hat. Am schönsten vielleicht in dem Logo des Technopop-Duos Mitte Karaoke, das einen Bären zeigt, der sich den Turm greift wie ein Mikrofon. So verbinden sich Sendeleistung und Sendungsbewusstsein zu einem ikonischen Bild. Dazu passt, dass sich anscheinend keine einzige grafische Bearbeitung des Turms aus Westberlin auftreiben ließ. Im Berlin Mitte der Neunziger wollte man alles mögliche sein, bloß nicht Westberlin.

Tatsächlich nötigt es einem im Nachhinein schon fast Bewunderung ab, wie konsequent sich Westberlin der Wahrnehmung des Fernsehturms verweigerte. Wenn es ein Symbol gab, über das Westberlin sich nach außen darstellte, dann war es die Gedächtniskirche. Vor dem am gesamten Himmel über Berlin immer sichtbaren Fernsehturm verschloss man die Augen. Eine Perspektive, die sich auch heute noch in der offiziellen Berliner Selbstdarstellung findet, wo eher auf Symbole gesetzt wird, die das Zusammenwachsen repräsentieren sollen, wie das Brandenburger Tor oder die Reichstagskuppel und ihr demokratischer Glamour.

Beim Fernsehturm liegen die Dinge komplizierter. Nicht nur seine Vergangenheit macht ihn zwischen Ostalgiewelle und Plattenbau-Abrissen zu einem mehrdeutigen Symbol. Das ganze Referenzcluster aus Fortschrittsglauben und die Technophilie, das sich mit ihm verbinden lässt, und die Faszination seiner Einbettung in eine architektonische Anlage, die nicht das bürgerliche Individuum als ihr Maß hat, verleihen ihm eine Vielschichtigkeit, die großen Vereinnahmungsgesten widersteht.

Dirk Berger, Ingo Müller, Sandra Siewert: „Von der Partei zur Party. Der Fernsehturm als grafisches Symbol“. s.wert design 2003. 19 x 19 cm, 144 Seiten, vierfarbig, brosch., 19,90 Euro. Im ausgewählten Buchhandel