Wir haben Schuld

Ab morgen wird der Bericht über den Tod des britischen Waffenexperten David Kelly verteilt. Die BBC muss dann über ihre Verantwortung berichten

VON STEFFEN GRIMBERG

Der morgige Dienstag dürfte ein nicht ganz alltäglicher Arbeitstag für die britische BBC werden. Denn nicht nur die politische Karriere von Premierminister Tony Blair, auch das Ansehen der BBC steht auf dem Spiel. Mindestens vier Kopien des wohl wichtigsten Berichts in der jüngeren Geschichte der öffentlich-rechtlichen Anstalt werden am Vormittag in ihrem Londoner Hauptquartier ankommen. Doch über den Abschlussbericht von Lordrichter Brian Hutton zum Tod des Waffenexperten David Kelly berichten darf die BBC nicht vor Mittwoch, wenn der Hutton-Report offiziell im Parlament vorgelegt wird.

Um „Lecks“ nach außen zu verhindern, setzt die Anstalt auf quasi geheimdiensttaugliche Sicherheitsvorkehrungen: Einsicht in die Berichte nehmen dürfen nur die von Hutton vernommenen BBC-Mitarbeiter. Zusätzlich werden stets Anwälte darüber wachen, wenn BBC-Generaldirektor Greg Dyke, der Vorsitzende des BBC-Aufsichtsgremiums „Board of Governors“, Gavyn Davies, und die Reporter Andrew Gilligan und Susan Watts lesen, inwieweit sie laut Hutton am Freitod des Wissenschaftlers mitverantwortlich sind. Der ehemalige UN-Waffeninspektor David Kelly war im Juli 2003 als Quelle des BBC-Reporters Andrew Gilligan enttarnt worden. Gilligan hatte in einer Radio-Sendung Ende Mai unter Berufung auf eine Geheimdienstquelle behauptet, dass die Regierung Geheimdienstinformationen über die Einsatzbereitschaft irakischer Massenvernichtungswaffen wahrheitswidrig zugespitzt habe, um der Bevölkerung die britische Beteiligung am dritten Golfkrieg zu verkaufen. Wenige Tage nach Aufdeckung der Quelle, nämlich Kelly, durch offenbar gezielte Hinweise des Verteidigungsministeriums gegenüber Journalisten und einem entwürdigenden Verhör durch den Auslandsausschuss des britischen Unterhauses nahm sich Kelly das Leben.

Führende BBC-Journalisten rechnen nach einem Bericht des Independent on Sunday nun offenbar mit deutlicher Kritik an der Rolle der BBC. Hutton werde wohl zu dem Schluss kommen, dass die Kelly-Affäre von „schlechtem Journalismus“ ausgelöst worden sei und ohne diesen „nicht stattgefunden hätte“, berichtet das Blatt. Gilligan hatte vor der Hutton-Kommission diverse Fehler in seiner Darstellung eingeräumt und bedauert. Der Grundvorwurf der BBC, Blairs Team habe gegen die Einwände der eigenen Experten die Gefährdung durch irakische Massenvernichtungswaffen aus politischen Gründen zu hoch bewertet, blieb allerdings – und löste eine heftige Kontroverse zwischen der britischen Regierung und der BBC aus.

Doch seit einer Sondersendung des BBC-Fernsehmagazins „Panorama“ vom vergangenen Mittwoch ist jetzt auch die bislang nach außen zur Schau gestellte Einigkeit der BBC dahin. „Panorama“ hatte Ausschnitte aus einem bisher nie ausgestrahlten Interview mit David Kelly aus dem Jahr 2002 gezeigt und dem eigenen Generaldirektor Greg Dyke vorgeworfen, „Haus und Hof auf wackeligem Terrain zu riskieren“.

Dass so gar nichts über den Hutton-Report vor dem für den frühen Mittwochnachmittag angekündigten Statement des Lordrichters in der BBC zu hören sein wird, wäre allerdings ein Wunder. Weitere Vorabberichte gehen an die Regierung, den Präsidenten des Unterhauses und die Familie von David Kelly. Sollten hieraus oder aus anderen Kreisen Einzelheiten durchsickern, werde man sehr wohl berichten, kündigte die BBC an – solange die Quelle zuverlässig sei.