Zum Wohl mit Kant

Die Philosophie-Performance „Kant und der Cocktail“ auf Kampnagel will dem Verhältnis von Rausch und Vernunft auf die Schliche kommen. Mit dem Publikum im Selbstversuch

von KATRIN JÄGER

Mit den Philosophischen Experimenten der Gruppe „Aussen“ erleben die Stars der in die Elfenbeintürme verdrängten Philosophie ihre Renaissance im Alltag. Bei der vorigen Veranstaltung platzte der Clubraum auf Kampnagel aus allen Nähten, als Sartre seine Kaffeetasse schwenkte.

Heute ist Immanuel Kant dran, der Mann aus Königsberg mit seiner preußischen Disziplin. Sein kategorischer Imperativ wurzelt tief in unseren Moralvorstellungen, sein System der „reinen Vernunft“ prägt bis heute unser gesellschaftliches Vernunftverständnis: körperloses, emotionsloses Denken. Alles andere: die Gefühle, die Phantasie, körperliche Regungen, kommen darin nicht vor.

Jedenfalls nicht in Kants Hauptschriften. Dafür in seinem wenig beachteten Spätwerk, der Anthropologie in pragmatischer Hinsicht. Dort befasst sich Kant mit dem Rausch. Pilze und Schwämme, können wir da lernen, verurteilt Kant. Differenzierter geht er auf den Alkoholgenuss ein. „Wein ist für Kant ein kultiviertes Rauschmittel. In Gesellschaft erlaubt der Philosoph dessen Genuss“, so „Aussen“-Mitglied Christian Gefert. Oft lud Kant seine Studenten in seinem Haus zum Essen ein. Dabei hat er wohl am eigenen Leib gespürt, wie der Weingenuss die Phantasie beflügelt und in Folge auch die Vernunft zu Erkenntnissprüngen anregt. Also liegen Rausch und Vernunft doch nicht so weit auseinander, wie Kant das in seinem Vernunftsystem formuliert.

„Aussen“ stellt Kant, das Publikum und sich selbst also vor die Frage: Wie berauscht kann Vernunft sein, wie vernünftig der Rausch? Verhalten sich Rausch und Vernunft wie die Zutaten eines Mischgetränks, eines Cocktails zueinander? Gefert meint: „Ja.“ Wie diese Mischung wirkt, ist allerdings eine Sache des Maßes, so nachzulesen bei Meister Kant. Die meisten kennen das aus dem Selbstversuch. Mäßiger Alkoholgenuss macht locker und kann dazu beitragen, über die eigenen Denkgewohnheiten hinaus zu gehen. Doch das berühmte Glas zu viel reicht, damit man dem Rausch verfällt; vernünftige Gedanken haben keinen Platz mehr.

Alkoholgenuss allein im stillen Kämmerlein verpönt Kant. Allein zu trinken hat – so die gängige Meinung – etwas Anrüchiges, auch heutzutage. Einsame Trinker haben schnell das Stigma des Alkoholikers weg. „Diese rigide kantsche Auffassung hat sich in unser Alltagsverständnis eingenistet“, erklärt Gefert. Und dies ist nur ein Beispiel dafür, wie die Thesen des alten Preußen heute noch das gesellschaftliche Regelspiel prägen.

Dies zu diskutieren, dazu gibt die Philosophie-Performance Kant und der Cocktail dem Publikum Gelegenheit. Aber auch die Frage, wie sich unterschiedliche alkoholische Getränke auf das Verhalten auswirken, soll Thema sein. Hierfür hat „Aussen“ mehrere Tresenfrauen und -männer befragt, die unterhaltsam ihre berufsbedingten Beobachtungen auf Video zum Besten geben. Dazu gehört auch die Typisierung der Getränkekonsumenten. Ein Tresenmann meint beispielsweise verallgemeinern zu können, dass „der Korpulenteste in einer Gruppe immer einen Sahne-Kokos-Cocktail bestellt, während die Caipirinha-Fans einen Hang zum Exotischen haben“. Dazu kann das Publikum Stellung nehmen.

Kant kann leider nicht persönlich erscheinen, seine Gebeine ruhen seit knapp 200 Jahren unter der Erde. An der Cocktailparty ihm zu Ehren nimmt sein Philosophengeist in Form von Textschnipseln teil, die die Zuschauer in „Aussen“ in gewohnter Manier zu Tischgesprächen anregen sollen. Dazu gibt‘s ein Mischgetränk, wahlweise mit oder ohne Alkohol. Eine Computeranimation bringt den Zeichen das Laufen bei, und zwar im Großformat, an der Wand des Clubraums. Eine Metapher für die Auflösung kantscher Kategorien im ästhetischen Genuss?

Kant und der Cocktail, Do, 13.3., 20 Uhr, Kampnagel