Freiheit und Widerstand

Regisseurin Angela Richter untersucht zusammen mit Ted Gaier in ihrem Stück „L‘Amérique“ im Neuen Cinema das Freiheitsversprechen und die Demokratisierungsmission der USA

von NIKOLA DURIC

Franz Kafkas einziger Text, in dem sich so etwas wie ein Happy End andeutet, war Amerika. Und mit dem letzten Kapitel des Romanfragments, „Das Naturtheater von Oklahoma“, beginnt das Theaterstück L‘Amérique von Angela Richter und Ted Gaier, das heute seine Premiere im Neuen Cinema feiert.

Kafkas Protagonist Karl Roßmann entdeckt ein Plakat, das Anstellungen in einem Theater verspricht: „Wer an die Zukunft denkt, gehört zu uns! Jeder ist willkommen! Wir sind das Theater, das jeden brauchen kann, jeden an seinem Ort!“ Unschwer ist in dieser Reklame die mythologische Einladung Amerikas an die restliche Welt wiederzuerkennen. Amerika war einmal das Versprechen grenzenloser Freiheit und unendlicher Aufstiegschancen. Aber was ist heute von diesem Mythos, vom amerikanischen Traum übrig geblieben, was vom Versprechen des „melting pot“? Wie stehen die – schon früher illusionären –Chancen für Einwanderer, als Tellerwäscher anzufangen und sich später als Millionär in Miami den Pelz bruzzeln zu lassen?

Für Karl Roßmann präsentierte sich die „Jobannahmestelle USA“ noch als „größtes Theater der Welt“ mit als Engel verkleideten Frauen, die durcheinander Posaune spielten. Schon einige Jahrzehnte später war für Emigranten wie Bertolt Brecht das Spektakel vorüber. Seine Anhörung vor dem Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten im Oktober 1947 verlief nur deshalb mit viel Humor, weil er das Ticket nach Europa schon in der Tasche hatte.

Später bermerkte Brecht sarkastisch, er sei nicht sicher, dass seine Freiheitsliebe „für das Land ausgereicht hätt“. Ihm kam das ständige Gerede über Freiheit in Amerika verdächtig vor. Damit einer von Freiheit redet, muss ihn der Schuh drücken: „Von Menschen, die in gutem Schuhwerk herumgehen, werden‘s selten erleben, dass sie in einem fort davon reden, wie leicht ihre Schuhe sind und wie sie passen und nicht drücken.“

Heute fragt man sich, warum die angedrohte Demokratisierung des Irak nicht schonmal in bereits existierenden Einflussgebieten Amerikas ausprobiert worden ist. Von der versprochenen Freiheit ist in Kuwait und Saudi Arabien jedenfalls kaum etwas zu spüren. Um den anstehenden zweiten Golfkrieg wird es in L‘Amérique jedoch nicht gehen. Angela Richter erklärt dazu, dass es derzeit einfach Konsens sei, gegen den Krieg zu sein. Eine reine anti-amerikanische Revue würde auf zustimmendes Schenkelklopfen hinauslaufen, darum soll das Theaterstück die USA eher als Wunschmaschine und Einflussapparat behandeln.

Neben dem düsteren Diagnostiker Kafka dient Richter der Bild- und Textband des dänischen Pastorensohns Jacob Holdt als weitere Materialquelle. Holdt bereiste in den 70er Jahren Amerika und dokumentierte sein Zusammentreffen mit den Ausgebeuteten des freiheitsliebenden Landes in dem Foto-Tagebuch American Pictures. Die dritte Quelle des Stücks ist der Roman Tortilla Curtain von T.C. Boyle. Das Buch handelt von der kalifornisch-mexikanischen Grenze, der Ausbeutung Illegalisierter und der gleichzeitigen Paranoia des weißen Mittelstandes vor der Überschwemmung durch „Fremde“.

Neben Schauspielern des Hauses treten die Musiker der Hamburger Band Les Robespierres und Melissa Logan von den Chicks On Speed auf. Dadurch wird L‘Amérique zum Teil die Stimmung von Robesspierres- Konzerten transportieren, die immer wieder in Freestyle-Rhetorik-Battles enden. Das Theaterstück selbst ist, so Ted Gaier „grob zusammengehauen“. Es funktioniert wie ein Puzzlespiel, bei dem Teile fehlen. Neben der Musik bildet die Geschichte eines weißen Mittelklasse- und eines Migrantenpaares einen zweiten roten Faden.

L‘Amérique ist eine theatrale Versuchsanordnung zu den Themenkomplexen Freiheit und Widerstand gegen Herrschaftsverhältnisse. Amerika und sein frei wuchernder Kapitalismus funktionieren wie ein Traum. Der Kapitalismus expandiert, indem er immer wieder „von der Zukunft borgt“, indem er sich immer wieder auf irgendeinen unbestimmten zukünftigen Moment der „vollen Rückerstattung“ bezieht, der ewig aufgehoben wird. L‘Amerique verspricht, der Lärm zu sein, der einen aus diesem Traum ungemütlich weckt.

Premiere: heute, 20 Uhr; weitere Vorstellungen: 14.–16., 18. + 20.3., 20 Uhr, Neues Cinema