Geheime Leidenschaft

Weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit schlummert in der Hochschule für Künste ein riesiges Pop-Plattenarchiv

In den Regalen des alten Kellergewölbes reihen sich mehr als 80.000 Tonträger aneinander – fast sämtliche populären Musikgenres, größtenteils auf Vinyl. Dazu stehen DAT- und MiniDisc-Player zum Überspielen bereit sowie jede Menge Fachliteratur vom Fanzine bis zur pophistorischen Abhandlung. Die Benutzergebühren von fünf Euro im Monat sind angesichts dieses immensen Angebots geradezu lächerlich.

Da wundern sich Ulrich Duve und Till Neurath manchmal schon, dass in ihrem kleinen Reich kaum etwas los ist. Andererseits: Besonders traurig sind die beiden Archivare des „Klaus-Kuhnke-Archivs für populäre Musik“ im Keller der Hochschule für Künste auch nicht darüber. Auch zwölf Jahre nach ihrer Öffnung für die Öffentlichkeit hat diese beinahe einzigartige Einrichtung immer noch den Status eines Geheimtipps. Man richtet sich hauptsächlich an Benutzer, die Tonträger als Kulturgüter wahrnehmen. Aber: „Viele wissen die Sachen hier gar nicht zu schätzen“, ärgert sich Duve. Der ehemalige Musiklehrer arbeitete ab 1985 als ABM-Kraft im Archiv und wurde 1991 dessen Geschäftsführer.

Das Archiv wurde 1975 von den Radio Bremen-Musikredakteuren Klaus Kuhnke, Manfred Miller und Peter Schulze gegründet. Als Kuhnke 1988 unter bisher ungeklärten Umständen bei einem Badeunfall starb, trat die Stadt Bremen der Firma als Mehrheitsgesellschafter und Kostenträger bei. Zu einem Teil finanziert sich das Archiv aber auch selbst: Doppelt vorhandene Tonträger werden im Internet bei E-bay feilgeboten.

Die drei Gründer hatten es sich zur Aufgabe gemacht, der Nachwelt einen repräsentativen Querschnitt durch alles zu erhalten, was heutzutage unter Pop subsumiert wird.

„Miller und Kuhnke sahen sich als Musikhistoriker“, erzählt Duve. „Die beiden haben lange Zeit in Amerika geforscht und schickten in der Zeit kistenweise Platten nach Hause.“ Nur, wer versuche, den gesamten Bereich des Musikschaffens wahrzunehmen, könne zu einer vernünftigen sozial- und geistesgeschichtlichen Einschätzung der populären Musik kommen, schreibt Schulze in der Broschüre des Archivs.

Ganz im Geiste der Gründerväter stellen die Archivare auch heute noch ihre Einkaufszettel zusammen, mit denen sie alle paar Monate durch die Bremer Plattenläden pirschen. „Vieles bekommen wir aber auch von Schulze oder aus Nachlässen begeisterter Plattensammler“, erklärt Neurath. Darunter seien Raritäten wie Platten von Benny Goodman, „die sogar dessen Erben noch nicht haben.“

Musik, das war für Neurath schon immer eine Leidenschaft, der sich im Zweifelsfalle auch wirtschaftliche Interessen unterzuordnen zu hatten. Als zwischenzeitlich die Mittel für seine ABM-Stelle im Archiv gestrichen wurden, arbeitete er für umsonst weiter. In den Achtzigerjahren, als junger Punk, betrieb er als drei Labels und einen Mailorder – nicht, um Gewinn zu machen, sondern um selbst an noch mehr Platten zu kommen.

Neben Bestandserweiterung und Datenerfassung steht auch die Kundenbetreuung auf dem Programm – und die mutiert bei der teilweise sehr labilen Spezies der Musikfanatiker schon mal in echte Sozialarbeit. Einige Besucher hätten außer ihrer Musikbegeisterung gar nichts im Leben, wären sehr isoliert und würden kaum über soziale Kompetenz verfügen. „Schwerste Provokationen, handfeste Rangeleien – wir haben schon fast alles gehabt“, erinnert sich Neurath und lächelt gequält. Aber solche Zwischenfälle können ihn nicht beirren: „Leidenschaft“ kommt schließlich von „Leiden“.

Till Stoppenhagen

Das Archiv in der Dechanatsstraße 13-15 (Hochschule für Künste) ist Montags bis Donnerstags von 9.30 bis 16.30 Uhr geöffnet. Kontakt: ☎ (0421) 32 85 12 und www.kkarchiv.de