Auslese beginnt schon in der Grundschule

Das deutsche Schulsystem beschert vielen Kindern einen Fehlstart: Deutschstämmige Schüler kommen fast fünfmal öfter aufs Gymnasium als die Kinder von Einwanderern. Und: Süddeutsche schneiden in der neuen Iglu-Lesestudie deutlich besser ab

AUS BERLIN CHRISTIAN FÜLLER

Die soziale Herkunft schlägt sich in Deutschland von Anfang an auf die Berufs- und Lebenschancen nieder – der deutschen Grundschule gelingt es kaum, Bildungsnachteile auszugleichen. Das geht aus der Internationalen Grundschul-Leseuntersuchung (Iglu) hervor, die übermorgen veröffentlicht wird. Im Lesevermögen und in der naturwissenschaftlichen Cleverness schneiden die deutschen Viertklässler dagegen im internationalen Vergleich gut ab.

In der innerdeutschen Lesetabelle stehen laut FAZ vor allem die Grundschüler aus dem Süden erneut gut da. Baden-Württembergs 6- bis 10-Jährige liegen dabei vor denen aus Bayern und Hessen; die kleinen Schwaben und Badenser könnten sogar international gut mithalten – sie befänden sich knapp hinter den Spitzenreitern Schweden, den Niederlanden und England. Schüler aus Nordrhein-Westfalen, Brandenburg und Bremen scheinen dagegen einen erheblichen Rückstand in der Lesefähigkeit zu haben. Dramatisch ist dabei der Grad der sozialen Abhängigkeit und der hohe Anteil an Risikoschülern schon beim Start in die Schulkarriere. Selbst in einem Bildungsmusterland wie Bayern gibt es knapp 20 Prozent Schüler, die am Ende der vierten Klasse Mathematik auf dem Niveau der zweiten Klasse lernen. In Nordrhein-Westfalen und Hessen sieht es genauso mies aus, nur Baden-Württemberg weist bessere Zahlen auf.

Kinder der, wie es soziologisch heißt, oberen sozialen Herkunftsgruppe haben zugleich wesentlich höhere Chancen, ihren Weg von der Grundschule auf die Eliteeinrichtung Gymnasium zu machen. Deutschstämmige Kinder besuchen mit einer 4,7-mal höheren Wahrscheinlichkeit ein Gymnasium als die Kinder von Einwanderern. Kinder aus niedrigen sozialen Herkunftsgruppen, so heißt es in der FAZ, würden in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg stärker benachteiligt. Extrem ist es in Bremen, wo nur 57 Prozent der getesteten Kinder vor der Schule eine Kita besucht haben. Dort hat fast jeder zweite Schüler in der vierten Klasse gravierende Rechtschreibprobleme.

Die „internationale Grundschul-Leistungsuntersuchung“ ist eine Erweiterung des Iglu-Tests vom April letzten Jahres, bei dem sich rund 147.000 SchülerInnen in 35 Ländern beteiligt hatten. Iglu erweiterte die Fragen zum Lesevermögen für einen Teil der Schüler auf Naturwissenschaften und Mathematik; insgesamt wurden sieben deutsche Bundesländer verglichen. Thüringen konnte dabei offenbar wegen der zu geringen Stichprobe nicht gewertet werden. Die neun anderen Bundesländer sagten ihre Teilnahme aus finanziellen Gründen ab, so etwa Berlin, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Beunruhigend an der Untersuchung sind auch diesmal wieder prinzipielle Fragen der deutschen Schule. Das Schulversagen von Kindern, so heißt es in der Analyse, werde in Deutschland nur wenig auf Lehrer oder die Schule bezogen. Das heißt, hierzulande herrscht immer noch die Anschauung, dass sich die Kinder der Schule anzupassen haben – und nicht etwa die Schule sich auf die Probleme der Schüler zu beziehen habe.

Um die Studie hatte es bereits in den letzten Wochen Streit gegeben. Die Zeitschrift Focus hatte berichtet, der Test sei wegen der geringen Teilnahme der Bundesländer gescheitert. Die Leiter der Studie, der Hamburger Erziehungswissenschaftler Wilfried Bos und der Mathematikdidaktiker Manfred Prenzel aus Kiel, hatten das zurückgewiesen. Kein Bundesland, das nicht an Iglu teilnehme, sei feige gewesen, sagte Prenzel. Denn die Beteiligung sei bereits vor dem großen Pisa-Schock verabredet worden.