Der überforderte Seelsorger

Georg Kardinal Sterzinsky hat sein Berliner Erzbistum in den Ruin getrieben. Nun müssen die Amtsbrüder einspringen

„Deus semper maior – Gott ist immer größer“, lautet, in Anlehnung an ein Wort aus dem ersten Johannesbrief, der Wahlspruch des Berliner Erzbischofs, Georg Kardinal Sterzinsky. Er nehme „den Gott unseres Lebens größer wahr als unser menschliches Denken, als unsere Schuld, als unsere Befürchtungen“, schrieb ein Mitpriester einmal über den 67-jährigen Oberhirten. Und es ist gut möglich, dass der Kardinal in Finanzdingen über Jahre einfach zu viel Gottvertrauen und zu wenige Befürchtungen hatte: Sein Erzbistum ist bankrott.

Deshalb musste er bei seinen Mitbrüdern in der Bischofskonferenz betteln gehen – und der Gang nach Canossa hatte Erfolg: Wenn auch unter hörbarem Murren, erklärten sie ihre grundsätzliche Bereitschaft, dem Bistum an der Spree unter die Arme zu greifen. Auch andere Diözesen haben Finanzprobleme. Doch die „dramatische Lage in Berlin ist ohne Parallele“, wie ein eher zurückhaltender Redakteur der katholischen Nachrichtenagentur es formulierte: Seit 1996 hat das Bistum bereits Kredite in Höhe von 104 Millionen Euro aufnehmen müssen. Und das bei Kirchensteuereinnahmen von rund 63 Millionen Euro im Jahr. Insgesamt 150 Millionen Euro Schulden hat das Erzbistum angehäuft – rund 440 von 2.700 Vollzeitstellen sollen nun wegrationalisiert werden.

Wer ist schuld an der Finanzmisere? In einer weiterhin absolutistisch verfassten Kirche trägt der Erzbischof die Verantwortung – und offensichtlich war er mit ihr überfordert. Nun ist ein Bischofsposten in der katholischen Kirche kein einfacher Job: Gesucht werden Männer, die zugleich fromme Seelsorger, clevere Manager, beeindruckende Intellektuelle und charmante Medienprofis sind.

Die Krux mit Kardinal Sterzinsky ist, dass er seit Beginn seiner Zeit als Bischof wohl vor allem nur Ersteres war: ein guter Seelsorger. Geboren in Ostpreußen und aufgewachsen nach 1945 in Thüringen wurde er geprägt von der Erfahrung einer drangsalierten religiösen Minderheit im real existierenden Sozialismus. Andere Priester wurden dadurch politisiert, Sterzinsky scheint eher in Innerlichkeit und Politikferne ausgewichen zu sein: Seine Priesterlaufbahn war wenig spektakulär, bei seiner umstrittenen Ernennung zum Bischof 1989 galt er als unbeschriebenes Blatt. Des Papstes Blick fiel wohl auf Sterzinsky, weil er einiges mit Karol Wojtyla teilt: Ostblockvita, eher konservative Weltsicht, tiefe Frömmigkeit. Kurz nach seiner Ernennung fiel die Mauer. Aber auch in dieser politisch heißen Zeit blieb Sterzinsky seltsam still.

Man kann dies auch als Bescheidenheit werten, aber auffällig ist schon, dass der spätere Kardinal kaum präsent ist: Ab und zu äußert er sich mal recht progressiv zu Migrationsfragen. Hier und da ärgerte er sich öffentlich über die PDS oder motzte über das Werte vermittelnde Pflichtfach LER in Brandenburg. Politisch und kirchenpolitisch aber blieb er immer blass – und das, obwohl es in Deutschland nur eine Hand voll Kardinäle, immerhin der zweithöchste Posten in der Weltkirche, gibt.

Als nach dem 11. September 2001 tausende in Gotteshäuser strömten, blitzten kurz die Stärken Sterzinskys auf – als Seelsorger einer verstörten Menge. Die Aufgabe, die jetzt auf ihn wartet, wird jedoch ungleich schwerer zu meistern sein. Er wird den lieben Gott inständig um Beistand bitten müssen. PHILIPP GESSLER