Grüne Sparpolitiker in der Defensive

Wirtschaftspolitiker Schulz verteidigt Haushaltskonsolidierung gegen Umweltminister Trittin, der höhere Neuverschuldung nicht ausschließt. Kritik an der Wachstumspolitik. Vorschlag für Schröders Regierungserklärung: Krankengeld privatisieren

„Weniger Zuwachs für mittlere und höhere Gehaltsgruppen“

von HANNES KOCH

Vor der morgigen Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard Schröder haben die Grünen ihre Vorstellung zur Reform der Sozialversicherung konkretisiert. Leistungen der Krankenkassen für Unfälle und Zahnersatz sollten nicht eingeschränkt werden, hieß es. Um die Beiträge zur gesetzlichen Krankenkasse zu reduzieren, könnte stattdessen das Krankengeld durch eine private Zusatzversicherung abgedeckt werden, erklärte die grüne Fraktionschefin Krista Sager.

Heute Abend treffen sich die Spitzen von Grünen und SPD im Koalitionsausschuss, wobei der kleinere Koalitionspartner letzte Anregungen für die Rede Schröders am Freitag im Bundestag geben will. Sager: „Wir erwarten, dass der Kanzler einen starken Akzent auf die Senkung der Lohnnebenkosten setzt.“ Nach Sagers Worten plädieren grüne Experten in diesem Zusammenhang dafür, das Krankengeld aus der gesetzlichen Versicherung herauszunehmen. „Unsere Fachleute sagen, dass es beim Krankengeld die wenigsten Abgrenzungsprobleme gibt“, so Sager. Krankengeld erhalten Beschäftigte von ihrer Versicherung, wenn sie länger als sechs Wochen krank sind. Sager plädierte weiterhin für Flexibilisierungen beim Kündigungsschutz und ein Investitionsprogramm zur Stützung der Konjunktur. Dieses dürfe allerdings „nicht im Widerspruch zur nachhaltigen Finanzpolitik stehen“, erklärte die Fraktionsvorsitzende.

Damit spielte Sager auf eine Auseinandersetzung zwischen dem wirtschaftspolitischen Sprecher der grünen Fraktion, Werner Schulz, und Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) an. Schulz hat sich in einem Positionspapier gegen „Wachstumsförderung auf Pump“ ausgesprochen. „Ein Investitionsprogramm für die Kommunen kommt nur dann in Betracht, wenn die Mittel an anderer Stelle erwirtschaftet werden können“, so Schulz. Dagegen hat Trittin in einem Beitrag für die taz (11. März) erklärt, dass Deutschland sich unter bestimmten Bedingungen „von der Priorität der Haushaltskonsolidierung verabschieden“ müsse.

Die Auseinandersetzung zwischen Trittin und Schulz ist Ausdruck einer Verschiebung der politischen Gewichte innerhalb der grünen Fraktion. Die Anhänger des Konsolidierungskurses, neben Schulz auch Finanzexpertin Christine Scheel und der Nachwuchs-Abgeordnete Alexander Bonde, sehen sich in der Defensive. Nachdem Rot-Grün vier Jahre wie ein Mann hinter Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) stand und die Reduzierung der jährlichen Neuverschuldung unter 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts als oberstes Ziel verfolgte, stellen Konjunkturdelle und drohender Irakkrieg dieses haushaltspolitische Projekt nun in Frage. Bundeskanzler Schröder wird morgen ein öffentliches Investitionsprogramm präsentieren, das ohne zusätzliche Schulden kaum zu finanzieren ist.

Jenseits des aktuellen Streits um die Finanzen plädiert Werner Schulz für einen langfristigen Richtungswechsel der Politik. Er liefert nichts weniger als eine ökonomische Wachstumskritik. Die Märkte, so Schulz, seien aus verschiedenen Gründen gesättigt. Deutschland werde demzufolge nur noch in Ausnahmefällen Wachstumraten erzielen, mit denen sich die Arbeitslosigkeit abbauen lasse. Wenn es trotzdem eine Chance geben soll, die Erwerbslosigkeit zu reduzieren, so Schulz, müssten alle etwas von ihrem Wohlstand abgeben. „Für die Bürger heißt das, dass bescheidene Einkommenszuwächse mit größeren Belastungen für die Eigenvorsorge zusammentreffen werden.“