Der letzte Ramsch bleibt liegen

Gestern startete der letzte offizielle Schlussverkauf. Doch die Masse der Kunden hat das Gewühle schon abgehakt und bleibt zu Hause. Sonderangebote ohne Sonderandrang

Noch einmal das Ereignis konservieren für die Ewigkeit. Ein Sat.1-Team irrt durch das Kaufhaus auf der Suche nach den letzten Schlussverkaufs-Fanatikern. „Dürfen wir kurz? Hier in die Kamera bitte.“ Die beim Kaufen Unterbrochene beschönigt nichts. „Ja, ich bin enttäuscht. Es ist nicht mehr das, was es früher einmal war.“ Es ist dokumentiert. Gestern startete zum letzten Mal ein Schlussverkauf. Und schon vor seinem Tod müffelt er gewaltig nach Verwesung.

Dabei war es doch immer so schön. Hunderte Hausfrauen, Hausmänner, Rentner, Arbeitslose, die sich an den noch verschlossenen Eingangstüren drängen. Die dann wenig später ihre vom Leben gezeichneten Leiber athletisch in Bewegung setzen, nur um sich vor allen anderen im höchsten Schnäppchendelirium auf kleinwagengroße Wühltische mit „Tennissocken weiß, 5 Paar für 2,99“ zu stürzen. Weil die Regierung in diesem Jahr den Schlussverkauf aus dem Rabattgesetz streichen will, soll nun Schluss damit sein.

Es ist dunkel, es schneit. Fünfzehn ältere Menschen stehen vor dem Eingang. Mehr sind es nicht. Die Kaufhof-Filiale am Alexanderplatz hat versucht, mit einem Frühaufsteherrabatt Konsumenten zu ködern: 10 Prozent auf alle Waren, wenn man vor 10 Uhr einkauft, nur heute.

Ganz vorne an der Glastür steht Rolf Weisbach aus Hohenschönhausen. Die Spannung steigt. Ein Mann im Arbeitsanzug geht von innen auf die Tür zu. Gleich ist es so weit. Er beginnt an einer Kurbel zu drehen. Jetzt. Die Tür geht auf. Die fünfzehn vom harten Kern gehen los. Niemand rennt. Im Erdgeschoss steht kein einziger Wühltisch. Weisbach geht zu Ständern mit reduzierten Anzügen. Nein, bestreitet er, zwei 50-Euro-Anzüge auf dem Arm haltend, er sei kein Schlussverkaufsfan. „Ich stehe nur gerne früh auf.“ Und doch scheint er das halbjährliche Gruppenramschen schon jetzt zu vermissen. „Es ist mit den neuen Rabattregeln ein bisschen unübersichtlich“, findet der Rentner. „Aber, da kann man nichts machen. So ist die Marktwirtschaft.“

„Das war früher ganz anders“, schwelgt auch eine Verkäuferin, die gerade nichts zu tun hat. Ihre Kasse hat man eigens für den Ansturm aufgemacht, der nicht kommt. „Da haben sie uns in der Früh die Türen eingerannt.“ Ihre Augen leuchten nostalgisch. Was sie erzählt, klingt wie Erinnerungen an große Schlachten und Abenteuer: „Das hätten Sie erleben müssen! Wir sind kaum noch mit dem Ansturm fertig geworden. Und was die gekauft haben! Ich habe einmal 120 Meter Stoff verkauft. An eine Kundin!“

Schnee von gestern. Geiz ist jetzt das ganze Jahr über geil. Das TV-Team steht verloren zwischen einem Stapel „Strumpfhosen Mikrofaser, 3 Euro“ und weiten rotbraun gemusterten Seidenblusen (15 Euro). Weit und breit kein telegener Schlussverkaufsfan in Sicht. Dann gehen sie auf einen Mann zu. „So, Sie haben aber Zeit. Und?“ „Ich komme von der Zeitung und mache gerade dasselbe, wie Sie. Ohne Kamera ist es nur weniger peinlich.“ Der Kameramann nuschelt: „Mmh, peinlich ist gut.“

BERNHARD HÜBNER