Ratlos am Fjord

Der Norweger Jon Fosse liest aus seiner neuen, melancholisch-poetischen Erzählung „Schlaflos“

Der Norweger Jon Fosse ist ein leiser Schreiber. Er schätzt die Pausen. Die Atemzüge zwischen den Sätzen, die nicht etwa aus Stumpfheit zerklüftet, zerbröckelt und kurz sind, auch nicht aus Unfähigkeit zur Kommunikation. Sondern weil beide Gesprächspartner wissen, was da verschwiegen wird. Weil man nicht zu sagen braucht, was evident ist.

In diesem Punkt unterscheiden sich die Ideen des in Bergen lebenden, 49-jährigen Autors von denen der Regisseure, die seine Stücke in den letzten Jahren inszenierten. Sie haben die Figuren oft als kommunikations- und beziehungsarm gefasst. In Wirklichkeit aber – dies bekundet der Autor selbst – ist seine Sprache, auch die seiner Erzählungen und Romane, eine endlose Spirale aus aktuellen und vergangenen Gedanken und Gefühlen. Sie münden letztlich ins Religiöse, ins Jenseits; oft mischt Fosse ohne Vorwarnung Realität, Vision, Dies- und Jenseitiges, reales Sterben und das Zweite Gesicht des Hinterbliebenen. Schamlos webt er Vergangenheit und Gegenwart ineinander, lässt Erinnerungen der Lebenden und der Toten verschwimmen, wie in „Das ist Alise“ und „Morgen und Abend“. Stets spielen seine Bücher und Theaterstücke zudem an nebelverhangenen, beklemmenden Fjorden, wie Fosse sie aus seiner Kindheit kennt.

Das ist auch in „Schlaflos“, seinem jüngsten Roman, aus dem Fosse jetzt im Literaturhaus liest, nicht anders. Ein junger Mann und seine hochschwangere Frau sind aus ihrem norwegischen Heimatdorf geflohen, weil sich die nicht-eheliche Gemeinschaft dort nicht leben ließ. Sie lieben sich, sie glauben an die Zukunft und an ihrer beider Bestimmung füreinander. Doch der Traum zerstiebt, als sie in der Großstadt keine Herberge finden. Verzweiflung breitet sich aus.

Das klingt stark nach der Weihnachtsgeschichte. Doch der Autor sagt, daran habe er zuallerletzt gedacht. In der Tat schließt Jon Fosses Erzählung – wenig christlich – unter anderem mit dem Mord an einer Alten, die den werdenden Vater verflucht hatte. „So welche wie du verdienen es nicht anders, als auf der Straße zu sitzen und zu frieren, denn sie können nicht anders“, hatte sie gesagt. Solch deutlicher, fast effekthascherischer Töne bediente sich Fosse bislang nicht.

PETRA SCHELLEN

Jon Fosse: Schlaflos. Reinbek 2008 Lesung: Di, 11. 11., 20 Uhr, Literaturhaus