Dialog der Klangkörper

Ein pazifistisch höchst ambitioniertes, selten aufgeführtes Stück: Mit einer Aufführung von Benjamin Brittens „War Requiem“ aus dem Jahr 1962 verabschiedet sich Michael Petermann als Leiter des Franz-Schubert-Chors

Nach elfeinhalb Jahren sei es nun auch mal genug, sagt Michael Petermann. Seit 1997 hat er den Hamburger Franz-Schubert-Chor geleitet: „Eine ganz schöne Reise.“ Rechnet er noch seine Zeit in Kirchenchören hinzu, kommt er auf zwei Jahrzehnte Chorarbeit. Nebenbei hat er ein Pensum hinter sich gebracht, das bei manch anderem wohl für eine halbe Karriere gereicht hätte: Gab Unterricht und Stimmtraining, machte zahllose freie Theater- und Musikprojekte, installiertem kuratierte und und und.

Dass es zum Abschied nun Benjamin Brittens „War Requiem“ sein soll, habe mehrere Gründe, erzählt er. Zum einen passe sich das ambitionierte, ausdrücklich pazifistische Stück in die Philosophie des Schubert-Chors, sagt Petermann; der Chor wiederum – traditionell am Ideal der gemeinsamen Entscheidungsfindung sich abarbeitend – habe sich gewünscht, das anspruchsvolle Werk aufzuführen. Sind seine Programme sonst vom Ideal durchzogen, „eine Spur weiter zu denken“, so Petermann, sei das nun aber gar nicht nötig – so viel stecke in Brittens 1962 uraufgeführte, Stück für großen Orchesterapparat und bis zu drei Chöre.

Dann gibt es da auch einen biographischen Grund: Der Komponist Britten pflegte in den 1950er Jahren eine enge Freundschaft mit dem Fürstenhaus Hessen und bei Rhein. In deren Stammsitz, dem südhessischen Darmstadt, wiederum ist Petermann geboren und aufgewachsen; so ergab es sich, dass er als Teenager einer Aufführung eben dieses Requiems beiwohnen konnte – gesungen noch selbst vom hoch betagten Peter Pears, dem lebenslangen künstlerischen wie privaten Partner Brittens. Jenes Konzert ist dem damals 15-jährigen Petermann offenbar in bleibender Erinnerung geblieben – insofern, sagt er, „schließt sich ein Kreis“.

„Zuerst kam der Wunsch, dann das Datum“: Dass das Requiem, das Britten einst der Versöhnung der vormaligen Weltkriegsgegner Deutschland und England verpflichtet sah, nun am Gedenktag für die Reichspogromnacht aufgeführt wird – und tags zuvor bereits im Berliner Dom –, ist eine irgendwie zwar plausible, aber nicht zwingende Kombination: Zu sagen, dass jeder Krieg gleich schlimm sei, wie es dem Requiem oberflächlich zu entnehmen wäre, würde ignorieren, dass gerade der Zweite Weltkrieg geführt werden musste, um das zu beenden, dessen am 9. November gedacht wird.

So geht es auch nicht um „um wohlfeiles Friedensgebrabbel“, sagt Petermann: Er schätzt an Brittens Requiem, dass es durch die drastischen Gedichte des im Ersten Weltkrieg gefallenen Wilfried Owen „ganz nah ran“ gehe ans Töten und das Sterben. Beim Konzert im Michel soll wird nun auch „Gastgeber“, Hauptpastor Alexander Röder, eine Einführung sprechen – über die „gewaltsame Kirche“.

Es gehe Britten um den Dialog, sagt Petermann: Da werden die verschiedenen Klangkörper räumlich getrennt, und es gibt – bei idealer Aufführungspraxis – nicht einen, alles regelnden Dirigenten; es bedürfe „zweier Alphatiere“, so Petermann.

Der bleibt dem Hamburger Musikleben übrigens erhalten: Unter anderem plant er das „Bunkerrauschen“ seine monatliche Reihe von Sonntagnachmittags-Kammerkonzerten, zu verstetigen. ALEXANDER DIEHL

So, 9. 11., Hauptkirche St. Michaelis