: „Ich habe nichts in der Schublade“
Johannes Motschmann hat den Bremer Komponistenpreis bekommen, dafür muss und darf er jetzt für ein Laienensemble schreiben. Ein Interview über die Begrenzung als Chance und das an diesem Wochenende in Bremen stattfindende Festival der „projektgruppe neue musik“
JOHANNES MOTSCHMANN, 30, wuchs in Bremen auf und studierte bei Wolfgang Rihm in Karlsruhe. Er erhielt u. a. den Komponistenpreis des Festivals „Heidelberger Frühling“.
INTERVIEW HENNING BLEYL
taz: Herr Motschmann, Sie haben geäußert: „Eine Musik, die mich vollkommen erfüllt, existiert nicht. Deswegen muss ich Sie erfinden.“ Komponieren Sie tatsächlich aus einem Defizit-Gefühl heraus?
Johannes Motschmann: In gewisser Weise stimmt das. Es gibt natürlich Musik, die mich mehr begeistert als meine eigene. Aber der Impuls zu Komponieren entspringt bei mir dem Bedürfnis, akustisch nicht ausgeliefert zu sein, sondern die musikalischen Prozesse selbst zu steuern.
Sie wurden gerade mit dem „Bremer Komponistenpreis“ ausgezeichnet, mit ihm verbunden ist der Auftrag einer Komposition für Laienmusiker. Ist das eine Eingrenzung, die Sie stört?
Jede Eingrenzung stört, darin liegt gerade die Inspiration: Wenn man alle Möglichkeiten hat, kann man nicht komponieren. Deshalb ist es auch konstruktiv, wenn ein Schreibauftrag an eine bestimmte Besetzung gekoppelt ist. Abgesehen davon finde ich es sehr sinnvoll, dass der Bremer Preis diese Ausrichtung hat.
Am Wochenende besuchen Sie in Bremen das Festival für Zeitgenössische Musik zum Thema „Reibung und Widerhall“. Passt Ihre Musik zu diesem Motto?
„Reibung und Widerhall“ sind Begriffe, die das Widerständige als sehr absichtsvoll heraus stellen und die man gern für solche Titel verwendet, zumal sie auf Grund ihrer Mehrdeutigkeit auch auf die physikalische Dimension der elektronischen Musik hinweisen, die bei diesem Festival eine große Rolle spielt. Die Reibung innerhalb der Werke ist genauso groß, wie diejenige, die durch die Zusammenstellung des Programms erzeugt wird, in dem solch unterschiedliche Komponisten wie Luigi Nonon, Gérard Grisey und Jonathan Harvey aufgeführt werden.
Eine Privatbrauerei, deren Stipendiat Sie waren, schreibt auf ihrer Homepage über eines Ihrer Werke: „Die Komposition überraschte durch die eingängige, fast barock anmutende Melodik“. Ist das ein gern gelesenes Lob?
Nein, damit kann ich mich nicht identifizieren.
Zumal ja nicht Ihre Erfindungskraft und Innovation, sondern eher eine gewisse Retrospektivität hervor gehoben werden.
Ich habe es nicht in der Hand, wie meine Musik auf andere wirkt. Es wäre auch sehr gefährlich, wenn man versuchen würde, sich in das potenzielle Publikum hinein zu versetzen – und dann muss ich eben damit leben, als „retospektiv“ gebrandmarkt zu werden. Im Übrigen muss man sehen, dass die Realisierbarkeit und die Kompliziertheit eines Werkes nicht notwendig miteinander zusammen hängen. „Grand Galop Chromatique“ von Liszt beispielsweise ist manuell äußerst aufwendig, aber von der Struktur her überhaupt nicht komplex. Man darf das also nicht miteinander verwechseln.
Sie schreiben auch Filmmusik, womit Sie möglicherweise der einzige der zur Bremer Tagung anreisenden KomponistInnen sind, der sich auch diesem Genre widmet. Warum ist anwendungsbezogene Musik bei vielen Ihrer KollegInnen eher verpönt?
Es gibt unendlich viele Räume und Situationen, in denen Musik nebenbei gehört wird und irgendeine Funktion zu erfüllen hat. Als Komponisten stehen wir natürlich in erster Linie dafür ein, dass Musik als solche Gehör finden kann – und das verweist eben auf den Konzertsaal. Ich persönlich habe Film-, Theater- und Fernsehmusik geschrieben, um Geld zu verdienen. Als Komponist sollte man den Wert von Gebrauchsmusik nicht zu gering einschätzen.
Und wenn sich Gebrauchsmusik verselbstständigt? Ist es nicht zum Beispiel witzlos, barocke Tafelmusik im Konzertsaal zu hören? Funktionsmusik gehört in ihre Zusammenhänge.
Wenn es solche Bankette nicht mehr gibt, dann bleibt eben nur der Konzertsaal übrig. Nur weil der Kontext weg, ist, muss die Musik ja nicht verschwinden.
Sicher: Man könnte sagen, ein Shanty kann auch dann gut klingen, wenn der Rhythmus nicht zum gemeinsamen Drehen der Ankerwinde benötigt wird. Aber ein konzertanter Shanty ist nicht so auratisch aufgeladen wie klassische oder zeitgenössische Musik.
Ich finde die Konzertsaal-Situation als bürgerliche Veranstaltung auch sehr fragwürdig. Aber so lange dieses Ritual nicht durch etwas anderes ersetzt ist, sind wir darauf angewiesen. In den besten Momenten vergisst man beim Musikhören ohnehin, wo man gerade ist.
Ihre „Elegie“ wurde von der Deutschen Kammerphilharmonie uraufgeführt. Setzt einen das nicht sehr unter Druck, wenn ein so renommiertes Orchester die eigenen Sachen spielt?
Je engagierter die Musiker sind, desto besser gelingt die Aufführung. Als Komponist ist man extrem auf das Verantwortungsgefühl der aufführenden Musiker angewiesen, weil das Publikum die Musik noch nicht kennt. Bei einem Beethoven weiß es ja, wie der in etwa klingen muss, bei neuer Musik ist das anders.
Im August 2009 ist die Uraufführung Ihres Klavierkonzertes beim „Alpenklassik-Festival“ in Bad Reichenhall. Das ist nicht gerade ein Zentrum für zeitgenössische Musik.
Das Festival verändert gerade sein Gesicht. Der neue Intendant Klaus Lauer ist schon seit Jahrzehnten ein sehr engagierter Vorkämpfer für Neue Musik.
Seit 1989 verfolgt die „Projektgruppe für neue Musik“ das Konzept zeitgenössische Musik zu fokussieren. Heute beginnt die 15. Ausgabe der konzertanten Tagung. Beim „Gesprächspodium“ treffen sich die KomponistInnen Ole-Henrik Moe, Michael Maierhof und Jamilia Jazylbekova. Am Sonntag werden Werke von Luigi Nono, Guillaume de Machaut und José Maria Sánchez-Verdú präsentiert. Programm: www.pgnm.de HB
Am 15. November ist in Bremen die Uraufführung Ihrer „Drei Antiphonen für Orchester“. Es ist Ihre dritte Uraufführung 2008, dazu kommen dies Jahr vier weitere öffentliche Aufführungen und eine Aufnahme im Großen Sendesaal des Österreichischen Rundfunks. Für einen 30-jährigen Komponisten kein schlechter Schnitt, oder?
Ich würde sagen, das ist ein normales Arbeitstempo. Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich weniger komponieren. Es ist bestimmt nicht mein Ziel, irgendwann 20 große Orchesterstücke und acht Opern geschrieben zu haben – ich würde lieber mit wenigen, dafür sehr konzentrierten Werken nach Klarheit suchen. Angesichts der Fülle des schon vorhandenen Materials würde ich uns Komponisten geradezu auffordern wollen, mal inne zu halten. Aber der Markt zwingt uns, immer wieder mit neuen Arbeiten präsent zu sein. Die Quantität begünstigt sehr das Fortkommen, eine hohe Taktung von Aufführungen entspricht dem Bild unserer Leistungsgesellschaft.
Bei jedem auf Ihrer Homepage aufgelisteten gut 20 Werke ist auch ein Uraufführungsort vermerkt. Wie hoch ist Ihre kompositorische „Dunkelziffer“, also die Zahl der Arbeiten, die in einer Schublade schlummernd liegen?
Ich habe gar nichts in der Schublade. Das ist atypisch, und manchmal auch sehr ungünstig: Bei Wettbewerben muss man in der Regel unveröffentlichte Werke einreichen – und da kann ich dann nichts anbieten.
Ab wann fängt man eigentlich an, seine Arbeiten zu nummerieren?
Das ist keine Frage der Quantität, sondern der Haltung. Oft distanziert man sich irgendwann von früheren Werken, die müssen dann auch nicht per Werkverzeichnis verewigt werden. Das ist wie ein Häutungsprozess. Aber einige Komponisten wollen gerade diese Entwicklung mit einer Nummerierung deutlich machen.
Auf Ihrer Homepage kann man sich ein paar Ihrer Werke wie „Carillon“, „Notturno“ und „Exprompt“ anhören. Alle drei enden vorzeitig mit einem fade out. Fühlt man sich als Komponist nicht der Ganzheit seiner Werke verpflichtet?
In der Regel ist das so. In diesem besonderen Fall ist es okay, wenn meine Stücke nur zum Teil zu gehört werden. Auf der Homepage hat die Ausblendung prinzipielle Gründe: Ich will nicht das gesamte Werk kostenlos zur Verfügung stellen. Dazu war auch die Produktion viel zu aufwändig: Für die zehn Minuten Musik, aus den Carillon besteht, haben wir zwei LKW-Ladungen voll Schlaginstrumente gebraucht.
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