Der Affe fotografiert zurück

Im Ballhaus Naunynstraße startet eine neue Generation postmigrantischer Theatermacher, die in einem aufregenden Parcours durch anatolische Kaffeehäuser ihre Visitenkarte abgibt

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Es ist ein Gewusel, wie man es vom Ballhaus Naunynstraße gar nicht gewohnt ist. Handwerker versuchen, den Buchstabenkasten über dem Eingang zum Leuchten zu bringen, im Innenhof rufen sich junge Menschen auf Deutsch und Türkisch noch Aufgaben zu. Drinnen wird am Bühnenbild für die Premiere von „Café Europa vs. Dog eat Dog“ geschliffen, auf der neu verglasten Galerie warten genauso wie in der neuen Bar im Keller neue Sitzmöbel. Draußen ist ein Banner quer über die Straße gespannt: „Die Naunynstraße füllt sich mit Thymianduft, mit Sehnsucht und Hoffnung, aber auch mit Hass.“

Lebendig und wuselig, mit viel Selbstbewusstsein, jung und ein bisschen kratzbürstig – so und nicht anders hatte man es sich vorgestellt, wenn Shermin Langhoff als neue künstlerische Leiterin des Ballhauses den Stab übernimmt. Denn die Theaterfrau ist umtriebig und hat etwas, was man wohl „Subkulturkontakte“, „Streetwiseness“ und „einen guten Riecher für Fördertöpfe“ nennen könnte. Am Ballhaus wird sie jetzt mit dem expliziten Senatsgeldauftrag, etwas für „die Integration“ zu unternehmen, sicher ein bisschen lächelnd weiterführen, wofür sie in den letzten Jahren sowieso schon stand: Kulturproduktion mit und in der nicht-nur-deutschen Szene, Förderung des Kreativpersonals der verschiedenen Berliner Einwanderergenerationen, dabei aber immer der Falle lustiger Exotismusrevuen so weit wie möglich ausweichend. Im Programmheft schreibt sie, sie wolle das Ballhaus zu einem „neuen Ort für postmigrantische künstlerische Suchbewegungen“ machen.

Dafür fährt Langhoff mit „Dogland – Junges postmigrantisches Theaterfestival“ ordentlich auf. Bis Ende Januar soll es sechs Premieren geben, darunter ein Tanzabend, in dem der anatolische Zeybrek-Tanz mit Hiphop und Breakdance amalgamiert wird, und die Berliner Premiere des jüngsten Stücks von Feridun Zaimoglu, „Schattenstimmen“ . Alles in allem eine Lust machende Fortsetzung der bisherigen Langhoff-Projekte: der Gründung eines deutsch-türkischen Kulturbüros, ihrer „Akademie der Autodidakten“ und ihren beiden fürs HAU kuratierten „Beyond Belonging“-Festivals. Ergebnisoffene Kulturprojekte, die zwar offensiv kein Ethnokitsch sein wollen, um einen „Wir von der Straße gegen euch Hochkulturzaungäste“-Touch aber trotzdem nicht immer herumkommen.

Das absolut empfehlenswerte Ereignis ihres Einstandsfestivals ist „Kahvehane: Turkish Delight – German Fright?“, ein Projekt, für das die Kuratoren Tuncay Kulaoglu und Martina Priessner eine Neuköllner und eine Kreuzberger Route durch jeweils sechs anatolische Männercafés gelegt haben. Diese kargen Cafés, die meist Frauen generell und oft auch männlichen Nichtvereinsmitgliedern den Zutritt verwehren, mit dem Freibrief des Kunsthappenings betreten zu können, hat natürlich einen eigenen Reiz. Zumal keines der bespielten Cafés während der drei „Kahvehane“-Tage seinen normalen Betrieb unterbricht. Es wird also an Automaten gedaddelt, geraucht und gespielt, während man im Schutz seiner Kleingruppe einfällt und in Raumecken und Hinterzimmern tolle, merkwürdige und beklemmende Dinge geboten bekommt.

In einem Café auf der Reichenberger Straße lässt Züli Aladag einfach auf drei zusätzlichen Fernsehern in kurzen Videos alte Kaffeehausmänner über sich erzählen – über in Berlin nicht in Erfüllung gegangene Wünsche, über die schmerzhafte Erfahrung, in der Türkei nur noch „Deutschländer“ zu sein. Im Vereinslokal von Türkiyemspor hat die Choreografin Canan Erek zwei türkische Herren an einen Tisch gesetzt, die sich im Takt zu „Tea for Two“ wunderbar synchron und rein pantomimisch als „impulsive Südländer“ aufführen: türkisches Re-Staging eines Türkenklischees.

Einige Performances spielen mit der Tatsache, dass man auf diesem Parcours sonst verbotenes Territorium betritt und damit zum Voyeur und Eindringling wird. Besonders klaustrophobisch wird es bei Neco Celik, der in der Luckauer Straße eine wortlose Zoosituation schafft. Ein Kaffeehaussitzer trägt einen Affenkopf und beobachtet einen aus unendlich traurigen Augen. Über den Tischen baumeln Einwegkameras, nach denen man sehr schnell vor lauter Unsicherheit greift. Der Affe fotografiert stumm zurück und jagt einen schließlich davon. Ein beißender Kommentar auf die Anmaßung, mit der Kunst mal so eben schnell Zugänglichkeit und Interaktion herzustellen.

Körperlich noch massiver führt einem das Nurkan Erpulat in der Neuköllner Lenaustraße vor. Neun Performer reißen an ihren Kaffeehaustischen unverständliche Witze, es wird röhrend gelacht, man versteht nichts. Zungen schnalzen drohend, einer bekommt beim Kartenspiel einen Wutanfall. Während man unwohl vor seinem Gläschen Tee hockt, ziehen die Männer sich vor einem aus. Schließlich singen sie splitterfasernackt das Schubert-Lied „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh’ ich wieder aus“.

Kaum ein Café wird als Kulisse missbraucht, die Interventionen verstärken höchstens das, was diese Orte sind: fremd, ablehnend, faszinierend, manchmal aber auch sehr gastlich.

„Kahvehane: Turkish Delight – German Fright?“. Heute (16–20.30 Uhr) und morgen (12–16.30 Uhr), Startpunkt: Ballhaus Naunynstraße Café Europa vs. Dog eat Dog, 8.–13. 11., 20 Uhr, im Ballhaus