Die Falle von Kurdistan

von INGA ROGG

Sie nennen sich Ansar al-Islam (Helfer des Islam), und sie stehen bei vielen irakischen Kurden im Verdacht, mit dem Bösen zu paktieren: mit Ussama Bin Ladens Al-Qaida-Netzwerk und Saddam Hussein. Sie werben mit Bildern vom Krieg in Irakisch-Kurdistan: Endlose Reihen von Männern, denen die Hemden vom Leib gerissen sind, deren Arme und Beine zerfetzt wurden.

Die Bilder, mit denen Ansar al-Islam auch im Internet für ihren bewaffneten Kampf wirbt, zeigen Kämpfer der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Aber dem „Laizismus und der Vielgötterei“ der PUK, die zusammen mit der Demokratischen Partei die Regierung in Kurdistan stellt, haben die Militanten vor einem Jahr den heiligen Krieg erklärt. Seitdem herrscht in der Region um das kurdische Städtchen Halabja im irakisch-iranischen Grenzgebiet ein Kleinkrieg, den bislang keine der beiden Seiten gewinnen konnte. Ein Krieg, in dem die Militanten auch Selbstmordattentäter einsetzen. Der erste Selbstmordanschlag forderte Ende Februar vier Menschenleben. Anfang Februar war der bekannte PUK-Politiker Schawkat Hadschi Muschir in einen Hinterhalt geraten. Neben ihm wurden dabei zwei seiner Sicherheitsleute sowie drei Zivilisten und ein neunjähriges Kind erschossen. Ein Krieg, dem vielleicht kaum weiter Beachtung geschenkt worden wäre, hätte Außenminister Colin Powell nicht seine Rede vor der UNO am 5. Februar gehalten, in der er ebenfalls eine Verbindungslinie zwischen den islamischen Radikalen, Bin Ladens Terrornetz und dem Saddam-Regime zog. Seitdem ist die Organisation international unter Druck geraten. Ihr Mullah Krekar (siehe Kasten), der seit 1991 in Norwegen lebt, wurde wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit zum Verlassen des Landes aufgefordert. In den USA, Kanada und Großbritannien wurden die Banken angewiesen, die Konten der Ansar al-Islam und ihrer Verbindungsleute einzufrieren. Mullah Krekar hat die Anschuldigungen zurückgewiesen und erhebt stattdessen schwere Vorwürfe gegen Washington. Im Herbst 2000 hätten ihn Mitarbeiter der CIA kontaktiert, um ihn für eine gemeinsame Operation gegen Saddam Hussein zu gewinnen. Weil er den Amerikanern die Kooperation verweigert habe, werde nun dieses Intrigenspiel inszeniert. Alles nur eine Verschwörung?

Halabja – hier beginnt die Geschichte der Ansar al-Islam. Wie Narben stechen die Trümmerfelder zwischen den Häuserzeilen hervor. 15 Jahre nach dem Giftgasangriff der irakischen Armee am 16. März 1988 leiden die Bewohner noch immer an den Spätfolgen, nirgendwo im Land sind die Krebsrate und die Zahl der Fehlgeburten sowie die Missbildungen bei Neugeborenen so hoch wie hier. Schon damals war das Städtchen am Fuße der Hawramanberge ein Zentrum des islamischen Widerstands gegen das Saddam-Regime. Hunderte Kämpfer der Islamischen Bewegung Kurdistans landeten in den Kerkern von Bagdad. Kaum hatten die Kurden die eiserne Hand des Despoten vom Tigris abgeschüttelt, setzten sich in der unzugänglichen Region um die nahe gelegenen Bergdörfer Bijara und Tawella die besonders kompromisslosen Kämpfer der Islamischen Bewegung fest. Unter ihnen auch kurdische Afghanistanveteranen, die heute mit der kurdischen Hamas und Tawhid das Rückgrat der Ansar al-Islam bilden. Angeblich haben hier außerdem 30 bis 80 arabische Afghanistanveteranen und Al-Qaida-Kämpfer Zuflucht gefunden.

Im Schattenreich der Ansar al-Islam gelten Satellitenfernsehen und Popmusik als Teufelszeug. In den Pamphleten, die unter ihren Anhängern kursieren, finden sich Anleitungen für die beste Methode zur Steinigung von Ehebrecherinnen. Dass in diesem abgelegenen Winkel weit außerhalb der alliierten Flugverbotszone das islamische Recht besonders rigide ausgelegt wird, daran seien die arabischen Afghanistanveteranen schuld, klagen Bewohner. „Sie hören auf Leute wie Abu Qatada, die keine Ahnung von unserer Lage haben“, schimpft ein kurdischer Religionsgelehrter.

Der Londoner Prediger Abu Qatada galt bis zu seiner Festnahme im Oktober als eine der Schlüsselfiguren im internationalen Netzwerk militanter Islamisten. Aus der Handkasse von Bin Ladens „Botschafter in Europa“ sollen auch die Reisen von Krekars Gesandtschaften zur al-Qaida in Afghanistan bezahlt worden sein. Ab Februar 2001 habe es direkte Gespräche zwischen den verschiedenen kurdischen Fraktionen und der Al-Qaida-Führung gegeben, berichtet ein langjähriger Weggefährte von Mullah Krekar. Neben der Vereinbarung über den Zusammenschluss der kurdischen Militanten sei dabei über Ausbildungshilfen und die Einrichtung einer Al-Qaida-Basis in Kurdistan verhandelt worden. Bin Ladens persönlicher Emissär Abu Abdul Rahman habe später das Kommando über die 300 bis 500 Mann starke Truppe übernommen. Der Jordanier kam später in den Kämpfen mit der PUK ums Leben.

Glaubt man den Überläufern, wurde die Ansar-Führung in den Lagern der al-Qaida in Afghanistan, aber auch vom irakischen Geheimdienst in den Terrortechniken geschult, mit denen sie heute in Kurdistan Angst und Schrecken verbreitet: Bomben bauen, Minen legen, Selbstmordattentate sowie in der Herstellung von Giften wie Rizin und Zyanid (siehe Kasten).

Ob die Allianz des Terrors allerdings tatsächlich bis in die Paläste von Bagdad reicht, ist umstritten. Dass Mullah Krekar selbst mit Bagdad unter einer Decke steckt, sagen ihm freilich nicht einmal seine ärgsten Gegner in Kurdistan nach. Saddams Verbindungsoffiziere seien die beiden Exoffiziere Abu Wail und Abu Subair, die beide der Ansar-Führungsriege angehören, berichten ehemalige Guerilleros. Der „Bombenmeister“ Ali Wali soll zudem den Umgang mit Chemiewaffen beherrschen. Darüber hinaus würden auf dem Gelände der früheren Chemiewaffenfabrik Salman Pak und in dem Lager der Einheit 999 bei Bagdad islamistische Militante aus aller Welt in Sabotagetechniken und im Häuserkampf geschult, behaupten übergelaufene irakische Geheimdienstler. Wichtigtuerei und Desinformation gehören freilich zum Handwerkszeug der Dunkelmänner. Insofern kann sich diese Fährte als genauso falsch erweisen wie viele, die seit dem 11. September nach Bagdad gelegt wurden. Da die Topleute ihre Kriegernamen häufig wechseln, ist es aber schwer, ihre Spur im Auge zu behalten.

Unterdessen gilt es in Kurdistan als ausgemacht, dass ein US-Luftangriff auf die Stellungen der Radikalen bevorsteht. Seit Wochen kursieren Gerüchte, wonach amerikanische Voraustrupps die Frontlinie inspiziert haben. Zusätzliche Nahrung erhielten die Spekulationen durch die Ankündigung des Sprechers des US-Verteidigungsministeriums, Richard Boucher, man werde mit den Freunden in der Region zusammenarbeiten, um die Zerstörung des Netzwerks sicherzustellen. Für die US-Truppen könnte sich daraus leicht ein Krieg mit unabsehbaren Folgen entwickeln. Iran hat erklärt, es werde eine Verletzung seines Luftraums nicht hinnehmen. Die beiden islamischen Gruppen, die das Gebiet um Halabja und Khurmal kontrollieren, haben gedroht, sich bei einem Überfall den Extremisten anzuschließen.

Die Führung der Ansar al-Islam hat sich auf ihre Weise vorbereitet: Im gesamten Gebiet hat sie nach eigenen Angaben ihre Kämpfer verteilt, die nur darauf warten, die Falle zuschnappen zu lassen. Den Preis würden wieder einmal die Dorfbewohner zahlen. Die ersten sind bereits auf der Flucht.