Afghanistan vor Opium-Rekordernte

Eine bislang unveröffentlichte UN-Studie prognostiziert besonders hohe Zuwächse im Gebiet der Nordallianz. Der Anbau weitet sich auf neue Gebiete aus. Studie empfiehlt internationaler Gemeinschaft eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Gemeinden

AUS WIEN RALF LEONHARD

Afghanistan steht im Jahre drei nach der Eroberung durch die USA vor einer neuen Opiumrekordernte. Ein entsprechender Trend lässt sich aus einer Studie ablesen, die die Kommission der Vereinten Nationen zur Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung (UNODC) mit dem Antidrogendirektorat Afghanistans vergangenen Oktober unter Bauern in allen Opiumregionen des Landes durchführte. Mit über 1.300 nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Bauern und Dorfvorstehern wurde ein äußerst repräsentativer Querschnitt interviewt. Das noch nicht veröffentlichte Dokument empfiehlt der Staatengemeinschaft enge Zusammenarbeit mit den Gemeinden, wenn diese das Problem nachhaltig in den Griff bekommen will.

Schon die Ernte 2003 blieb mit 3.600 Tonnen Opium auf 80.000 Hektar Anbaufläche nur hinter dem Rekordjahr 1999 (4.565 Tonnen auf 91.000 Hektar) zurück. Gegenüber 2002 war die Produktion um 8 Prozent gewachsen. Für dieses Jahr werden ein neuer Zuwachs und vielleicht eine neue Rekordernte erwartet.

Zu denken geben muss den Drogenbekämpfern, dass sich der Anbau auf neue Gebiete ausdehnt. Besonders starke Zuwächse sind im Norden zu erwarten, den die Nordallianz kontrolliert. Viele, besonders die größeren Bauern, weiten den Schlafmohnanbau zu Lasten von traditionellen Produkten aus. Denn obwohl der Preis für Rohopium wegen des höheren Angebots stark gefallen ist, liegt er noch immer rund viermal über jedem legalen Produkt. Erntehelfer für Weizen sind kaum zu bekommen, da die Arbeit auf den Mohnfeldern mehr als doppelt so viel bringt. Die damit einhergehende Inflation zwingt immer mehr Bauern, auf Opium umzusatteln.

Die meisten Bauern und Dorfvorsteher geben an, der Opiumanbau sei ein Mittel zur Armutsbekämpfung. Für viele ist er auch die einzige Möglichkeit, an einen Kredit zu kommen, wenn sie die Ernte im Voraus verkaufen. Versuche, Opiumbauern durch Entschädigungszahlungen auf den rechten Weg zu bringen, schlugen fehl, weil die Gelder nicht oder nur unvollständig ausgezahlt wurden.

Afghanistan, das im letzten Jahr der Taliban-Herrschaft dank Repression fast 90 Prozent der verbotenen Kulturen ausrotten konnte, liefert heute wieder mehr als drei Viertel der weltweiten Produktion. Während sich die USA vor allem in Kolumbien eindecken, wo Heroin neben Kokain in steigendem Maße produziert wird, landet der Stoff aus Afghanistan vor allem in den europäischen Ländern. Aber auch Iran und Pakistan klagen über ein ausuferndes Drogenproblem als Folge der Opiumschwemme.

Antonio Maria Costa, der Geschäftsführer der UNODC, wird am 4. Februar eine Mission nach Afghanistan anführen. Am 9. Februar soll dort unter Führung Großbritanniens eine internationale Drogenkonferenz stattfinden. Sein Sprecher, Kemal Kurspahic, räumt ein, dass bei der kommenden Ernte mit Zuwächsen zu rechnen sei, weiß aber nichts von der Studie, die wohl vor allem auf Druck Großbritanniens unter Verschluss gehalten wird. Die Briten sind in Afghanistan federführend bei der Drogenbekämpfung. Wie auf den Opiumboom reagiert werden soll, ist umstritten.

„Während viele auf martialische Maßnahmen und eine Militarisierung drängen, muss vor inkohärenten Schnellschüssen gewarnt werden“, meint der Drogenexperte Robert Lessmann in Wien. Diese seien im letzten Jahr grandios gescheitert. „Die Bereitschaft zum Neuanbau“, so Lessmann, „scheint dort besonders groß, wo 2003 Schlafmohn vernichtet wurde, ohne ausreichend Alternativen zu schaffen.“ Interessant ist, dass Bauern, die auf das Opiumgeschäft verzichten, sich weniger vor Strafe fürchten als vor dem Koran. Rund ein Viertel gab an, Drogenanbau sei gegen den Islam. Die Empfehlung, mit den Gemeinden Abkommen über freiwilligen Verzicht auf Opium zu unterzeichnen, dürfte also auf das soziale Umfeld Rücksicht nehmen.