„Wir sind antiideologisch“

Ein Gespräch mit Matthias Osterwold, dem künstlerischen Leiter des MaerzMusik-Festivals, über neue Hörgewohnheiten, die künstlerische und ideologische Offenheit seines Festivals und seine Absicht, unbekannten Künstlern ein Forum zu verschaffen

von BJÖRN GOTTSTEIN

taz: Die MaerzMusik hat jetzt eine „Sonic Arts Lounge“ mit Klangkunst und einem Lautsprecherorchester, eine literarische Reihe und ein experimentelles Musiktheater. Das Festival wird heute Abend mit einer „Installation-Performance“ eröffnet. Die traditionellen Konzerte muss man ja schon mit der Lupe suchen.

Matthias Osterwold: Das Konzert ist heute eine Spielform unter vielen. Die Akzente haben sich in letzter Zeit verschoben. Viele Künstler arbeiten beispielsweise mit Elementen der bildenden Kunst. Eine solche Akzentverschiebung hin zu offeneren Formen sollte ein Festival für aktuelle Musik berücksichtigen.

Hat sich der Konzertsaal ideologisch überlebt?

Ich bin ganz sicher, dass sich der Konzertsaal mit den dazugehörigen Genres nicht überlebt hat. Wir vertreten hier doch eher einen antiideologischen Standpunkt, indem wir den Wettstreit oder den Diskurs verschiedener Ansätze fördern. Wir spielen ja nicht verschiedene Formate gegeneinander aus, sondern hoffen auf einen Trade-off zwischen den Ästhetiken. Natürlich lässt sich das Publikum nicht mehr von solchen Ideologien besonders beeindrucken. Wir haben heute viel unbefangenere Hörer als früher.

Es sind auch einige Künstler zugegen, deren Wurzeln eher im popkulturellen Bereich liegen. Kann es denn Aufgabe der MaerzMusik sein, auch solche Musiker, die ja durchaus über eigene und gut funktionierende Netzwerke und Vertriebswege verfügen, zu fördern?

Zum einen hat natürlich die Neue Musik mit einem großen N auch ihre eingeführten Festivals, Vertriebswege usw. Aber nehmen Sie nur ein Projekt wie Negativland. Das ist ja kein affirmatives, kommerzielles Pop-Produkt, sondern das genaue Gegenteil. Abgesehen davon, dass sie ohnehin sehr selten zu sehen sind, halte ich es durchaus für unsere Aufgabe, diesen Künstlern ein Forum zu schaffen.

Es sind auffallend wenig große Namen im Programm. Das macht neugierig. Aber haben Sie nicht auch Angst, dass das Festival so an Renommee verliert?

Wenn es dadurch an Renommee verlieren würde, dann wäre das ein ganz bestimmtes Renommee, nämlich das der etablierten neuen Musik. Ich glaube, es ist Aufgabe dieses Festivals, Dinge zu beleuchten, die nicht immer schon voll im Lichtkegel gestanden haben. Ich verzichte auch gar nicht mutwillig auf Prominenz. Ich bin nur nicht bereit, sie um ihrer selbst Willen aufs Programm zu setzen, sondern möchte sie in bestimme Programmlinien einbinden.

Im vergangen Jahr gab es einen Schwerpunkt mit chinesischer Musik. In diesem Jahr stellen sie eine Reihe von baltischen Komponisten vor. Auch das ist wohl als Versuch zu verstehen, weniger bekannten Künstlern ein Forum zu verschaffen. Aber ausgerechnet den baltischen Ländern eilt der Ruf nationalstilistischer Klischees voraus.

Zunächst einmal halte ich es für bemerkenswert, dass eine doch recht kleine Region eine so bedeutende Musikkultur mit markanten Stilmerkmalen ausbildet: Einfachheit des Satzes, unmittelbare Zugänglichkeit, manchmal ein Hang zum Mystizismus, manchmal eine gewisse Gefälligkeit. Das ist keine Musik nur für Spezialisten, sondern für ein breites Publikum, und die Leute tragen diese Musik. Das ist doch positiv! Die meisten Menschen hier verbinden die Musik des Baltikums mit dem Komponisten Arvo Pärt – und Sie offensichtlich auch. Dabei wenden sich die jüngeren Komponistinnen und Komponisten gerade gegen diese Typenbildung. Sie tun das vielleicht nicht als große Dissidenten, sondern mit Respekt. Aber die genannten Stilmerkmale weichen allmählich auf, und es entsteht etwas ganz Neues.

Existiert unter den Berliner Festivals für neue Musik eigentlich ein Interessenkonflikt?

Früher, vor der Wende, hatten wir vor allem in West-Berlin eine etwas karge Neue-Musik-Landschaft. Jetzt gibt es eine Fülle an Projekten, Künstlern, Ensembles und Festivals. Ich denke, dass diese Festivals sich möglichst gut ergänzen sollten. Sie stehen ja nicht in direkter Konkurrenz zueinander, sondern entfalten je verschiedene Facetten der zeitgenössischen Musik. Allerdings können wir uns auch größere Produktionen leisten, die das Volumen anderer Festivals überfordern würden.

Zum Beispiel ein neues Musiktheater bei Robert Ashley in Auftrag zu geben?

Genau. Robert Ashley ist jetzt etwas über 70 Jahre alt, und er hat immer im Schatten anderer gestanden. Er hat ein ganzes Genre auf den Weg gebracht, die Medien- oder Videooper, und mit dieser neuen Form des Musiktheaters auch neue Stoffe erschlossen: die Psycholinguistik, die Psychoakustik. In seinem neuen Stück, „Celestial Excursions“, geht es um eine Gruppe von Menschen, die häufig zusammen ist, miteinander redet, aber nicht kommuniziert. Diese Monologe und ihre Simultaneität stehen im Mittelpunkt des Werkes.

Von heute bis zum 23.3, Haus der Berliner Festspiele, Schaperstr. 24, Programm unter www.maerzmusik.de