Machtkampf voll entbrannt

Das Parlament der Jüdischen Gemeinde hat sich selbst aufgelöst. Auslöser war ein Brief von Vorstandsmitgliedern, der auf die Entmachtung des Gemeindechefs Alexander Brenner hinauslief

von PHILIPP GESSLER

Erstmals nach 1945 steht die Jüdische Gemeinde vor vorgezogenen Neuwahlen. Nach einer auch für die Gemeindeparlamentarier, die Repräsentanten, überraschenden Wendung einer nichtöffentlichen Sitzung am Mittwochabend löste sich die Repräsentantenversammlung (RV) auf. Damit kann auch der Vorstand der Gemeinde, gewählt aus der RV, mit dem Vorsitzenden Alexander Brenner nur noch bis zu den Neuwahlen amtieren. Sie werden nach Angaben Brenners frühestens für September erwartet. Der Selbstauflösungsbeschluss der RV treibt zugleich einen Machtkampf zwischen dem Gemeindeparlament und dem Vorstand, aber auch zwischen Brenner und seinen Vorstandskollegen auf die Spitze.

Anlass für die unerwartete Entwicklung war ein hausinterner Brief von fünf Vorstandsmitgliedern an die Mitarbeiter der Gemeinde. Etwas verklausuliert fordern darin unter anderem die Vizevorsitzenden der Gemeinde, Moishe Waks und Cynthia Kain, nur noch Dienstanweisungen zu folgen, die von einer Mehrheit des Vorstands angeordnet wurden. Der Brief konnte nach notorischen Streitereien im Vorstand nur als kaum kaschierter Vorstoß verstanden werden, Brenner zu entmachten. Der Gemeindechef war schon länger von einigen Vorstandsmitgliedern bei Entscheidungen übergangen und häufig einfach überstimmt worden. Offenbar war der Brief der Versuch, Brenner in die Resignation zu treiben. Deshalb beschloss die Repräsentanz mit Mehrheit die Distanzierung von dem hausinternen Schreiben.

Mit anderen Repräsentanten nutzte aber unter anderem der Rechtsanwalt Albert Meyer die Gelegenheit, eine Dreiviertelmehrheit für die Selbstauflösung zu gewinnen. Nach zwei Wahlgängen war sie erreicht. Meyer hatte die Auflösung wegen der erbitterten Streitigkeiten in der Gemeinde seit längerem gefordert. Die größte jüdische Gemeinde der Bundesrepublik mit 12.000 Mitgliedern galt schon seit einigen Monaten wegen der verhärteten Fronten in der RV und im Vorstand als kaum mehr arbeitsfähig.

Brenner zeigte sich in einer ersten Reaktion „angenehm überrascht“ von der RV-Entscheidung. Er sei „frohgemut“. Es habe eine „schwelende Krise“ in der Gemeindeversammlung gegeben. Die Situation sei im Vorstand häufig „nicht sehr angenehm“ gewesen. Der 73-jährige Brenner ist seit zwei Jahren im Amt. Im April 2001 besiegte er dank der Stimmen der russischen Einwanderer seinen Vorgänger Andreas Nachama von der liberalen Gruppierung „Jüdische Einheit“. Ursprünglich sollte der als eher orthodox geltende Exdiplomat noch bis zum Ende der RV-Legislaturperiode in zwei Jahren im Amt bleiben.

Im Gespräch mit der taz sagte Brenner, er sei noch unentschlossen, ob er erneut für den Gemeindevorsitz kandidieren werde: „Alles ist offen.“ Auch Waks und Kain wird Interesse nachgesagt, an die Spitze der Gemeinde zu treten. Der Exgemeindechef Nachama kündigte bereits an, sich nicht um einen Sitz in der RV bewerben zu wollen. Damit gäbe es für den derzeitigen Direktor der Gedenkstätte „Topographie des Terrors“ auch keine Möglichkeit, erneut Gemeindevorsitzender zu werden.

Erste Spekulationen in der Gemeinde gehen davon aus, dass der russischstämmige Geschäftsmann Michail Rebo am Spitzenjob in der Gemeinde interessiert ist. Auf den Chefsessel würde mit ihm erstmals ein Vertreter der russischsprachigen Zuwanderer gelangen, die mittlerweile mehr als die Hälfte der Gemeindemitglieder ausmachen.