Sprüche. Die von gestern

Der Innovationsplan von Ministerin Bulmahn für deutsche Eliteunis hat Substanz. Wie sie ihn verkauft, erinnert an Tiefpunkte des Boulevardfernsehens

AUS BERLIN CHRISTIAN FÜLLER

Deutschland, das von heute, liegt in einer Bank, wenige Schritte vom Brandenburger Tor entfernt. Das Atrium des vom Stararchitekten Frank O. Gehry entworfenen Bankhauses beherrscht eine riesige körperähnliche Skulptur. Am Fuße der aufregenden Metallplastik steht eine umso schmucklosere Betonwand, verunziert von Bohrlöchern. Davor hält Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) eine Rede. Sie spricht von der Zukunft des Landes.

„Deutschland, das von morgen“ ist eine Phrase im Redemanuskript der Ministerin. Edelgard Bulmahn wird nicht müde, sie in die Köpfe ihres Publikums zu hämmern. Dieses Deutschland, so sagt sie, braucht Innovationen. „Denn Innovationen sind das Lebenselixier einer Gesellschaft“, schwärmt sie. Bulmahn definiert „Meilensteine“. Sie will eine „Missionsorientierung“ jedes Forschungsprojekts, etwa diese Terminformel: „Alzheimer bis 2010 besiegen.“

So oft spricht die Ministerin von morgen, von Zukunft, vom Jahr 2010, dass der Verdacht aufkommt: Sie und ihre von Umfragen, Blockaden und Rücktritten geplagte Bundesregierung würden sich allzu gern aus der Tristesse der Gegenwart verabschieden.

Die Zuhörerschaft im Bankhaus am Pariser Platz ist die Wissenselite des Landes, angeführt von den Präsidenten der deutschen Forschungsgemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft, der Fraunhofer-Institute, der Hochschulrektoren und des Wissenschaftsrats. Bei den wolkigen Passagen der Bulmahn-Rede hält sich das Publikum auffallend zurück. Dafür sind die wichtigsten Akademiker des Landes umso mehr beeindruckt, als Bulmahn Zahlen und Fakten nennt. Das rot-grüne Zukunftsprogramm ist konkret und umfangreich.

Vier bis sechs deutsche Spitzenunis sollen jeweils 250 Millionen Euro bekommen – zusätzlich zu ihrem normalen Budget, das vom jeweiligen Bundesland kommt. Zudem will der Bund den Topforschungsinstituten vertraglich garantieren, dass ihre Mittel über mehrere Jahre hinweg zunehmen. Bulmahn nennt das „umfassende Modernisierung des Forschungssystems“.

Nur hat die Forschungsministerin schon viel angekündigt. Wenn der Tag lang genug dauert, ist die emsige Studienrätin Bulmahn auf so vielen Presse- und Einweihungsterminen präsent, dass die Öffentlichkeit gar nicht recht weiß: War sie schon da? Oder ist sie schon wieder weg? Damit es diesmal anders ist, hilft überraschend jemand, der mit Bemerkungen zu Bildung und Forschung bislang eher unangenehm aufgefallen ist: Bundeskanzler Gerhard Schröder. Heute kann es der Regierungschef freundlich – und noch bombastischer als seine Frau für die Zukunft. „Wir wollen ein kinderfreundliches, ja, warum nicht das kinderfreundlichste Land Europas werden“, sagt Schröder. „Und wir wollen, dass die Nobelpreisträger nicht nur von hier kommen, sondern auch bei uns bleiben.“ Das Auditorium klatscht mit einer gewissen Hingabe, als wollten die Zuhörer ausdrücken: Hoppla, die haben ja was kapiert.

Tatsächlich hat der zweistufige Innovationsplan der Bundesregierung mehr Substanz, als nach der nun zwei Wochen währenden zähen Diskussion über Eliteunis zu erwarten war. Die Regierung will für die Zusatzförderung von Tophochschulen viel Geld ausgeben. 250 bis 300 Millionen Euro pro Jahr, verteilt auf vier bis sechs Hochschulen, bei einer Laufzeit von fünf Jahren – das ist natürlich weit weg von Harvard oder Stanford. Aber es sind auch keine Peanuts, angesichts eines Jahresetats von 250 bis knapp 500 Millionen Euro, den deutsche Unis in der Regel haben.

Außerdem scheint die SPD aus dem Gezetere um die Ganztagsschulen gelernt zu haben. Diesmal soll das Geld nicht in bürokratischen und zähen Abstimmungen mit den Bundesländern verteilt werden, sondern direkt an die Institutionen fließen. Jede deutsche Uni kann sich bewerben, eine international besetzte Jury wählt die Sieger aus – dann soll das Geld kommen.

Entschlossen, geradezu grimmig sagte Edelgard Bulmahn an die Adresse der Länder: „Dieser Vorschlag wird umgesetzt!“ Und der Kanzler warnte die Opposition, nicht schon wieder die nächste Chance für eine Blockade zu wittern. Die wird sich wohl nicht ergeben. Wie es aussieht, könnte die Bundesregierung diese Innovationsoffensive ohne Zustimmung des Bundesrats oder unter der Mitwirkung von Länderministerien starten. Nur die Frage, woher das frische Geld für gute Forschung kommen soll, ist noch umstritten. Wahrscheinlich wird die Bundesregierung den Etataufschlag für die Hochschulen aus einem Abschlag beim Hochschulbau finanzieren. Der Bund hat seine Bauhilfen für die Länder bereits zurückgefahren. Bulmahn sagte dazu gestern, die jetzige Form des Unibaus sei zu langwierig und uneffektiv.

Die Akademie- und Wissenschaftsvorsteher reagierten wohlwollend auf die Finanzspritze für Hochschulen und Forschung. Kein Wunder, Ernst-Ludwig Winnacker von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Wissenschaftsratschef Max Einhäupl werden als die Erfinder des Programms gehandelt. Stoßen durften sie sich allein an den Überschriften. Edelgard Bulmahn ruft die akademische Elite des Landes nämlich mit den Worten des Boulevardfernsehens zum Wettbewerb. „Brain up! Deutschland sucht seine Spitzenuniversitäten.“ Deutschland, das von morgen, mit Sprüchen, die von gestern sind.