Bayer zittert weiter vor Schadenersatz

Konzern präsentiert durchwachsene Bilanz. Neue Klagen in den USA nach dem Lipobay-Medikamenten-Fiasko

Die Zahl der Klagen ist auf 8.400 gestiegen, erst 500 Fälle sind per Vergleich erledigt

LEVERKUSEN/BERLIN ap/rtr/taz ■ Der Pharma- und Chemiekonzern Bayer präsentierte gestern die Konzernbilanz für sein Krisenjahr 2002. Auf den ersten Blick sieht es gar nicht schlecht aus: Der Konzerngewinn stieg um 10 Prozent auf 1,1 Milliarden Euro – allerdings nur, weil Teile des Konzerns verkauft wurden. Der mit dem eigentlichen Betrieb erzielte Gewinn sank um über 40 Prozent auf knapp eine Milliarde Euro. Der Umsatz fiel um 1 Prozent auf 29 Milliarden.

Der Weltkonzern aus Leverkusen kämpft nicht nur mit der weltweit flaueren Wirtschaft, sondern vor allem mit den Nachwirkungen der Lipobay-Krise. Das Medikament Lipobay (in den USA unter dem Namen Baycol vermarktet) senkt das Blutfett Cholesterin und soll so das Risiko eines Herzinfarktes mindern. Es war ein Verkaufsschlager bis zum Sommer 2001. Dann musste Bayer es vom Markt nehmen, weil das Medikament im Verdacht steht, als Nebenwirkung Muskelschwäche mit tödlichem Ausgang verursachen zu können. Insgesamt werden rund 100 Todesfälle mit Lipobay in Zusammenhang gebracht. Seitdem ist der Konzern von potenziell sehr teuren Schadenersatzverfahren in den USA bedroht.

Gestern räumte Bayer erstmals ein, dass mögliche Milliarden-Belastungen durch Schadenersatzklagen von Patienten im Zusammenhang mit Lipobay die Versicherungsdeckung übersteigen könnten. Es sei „derzeit nicht möglich, weitere Abschätzungen zum Umfang der Haftungsrisiken abzugeben“. Die Zahl der Lipobay-Klagen sei auf 8.400 gestiegen, wovon 4.600 nahezu identisch seien. Bayer habe ohne Haftungseingeständnis bisher über 500 Vergleiche geschlossen und dafür etwa 140 Millionen Dollar bezahlt, hieß es. Bislang waren 7.800 Klagen und 450 Vergleiche bei Zahlungen von insgesamt 125 Millionen Dollar bekannt gewesen.

Das Handelsblatt berichtete gestern, dass nun auch Aktionäre wegen Lipobay klagen. Vor einem Bundesgericht im Staat New York hätten sie den Konzern sowie Vorstandschef Werner Wenning und dessen Vorgänger Werner Schneider verklagt. Bayer hätte Sachverhalte zu Lipobay nicht bekannt gemacht oder falsch dargestellt. Damit sei der Kurs der Aktie künstlich aufgebläht worden.

Die Bayer-Aktie brach in den vergangenen Tagen noch mehr ein als der Rest der Börse und konnte sich auch gestern nur leicht auf 10,70 Euro erholen.

Um die Lipobay-Verluste auszugleichen, fährt der Konzern einen harten Sparkurs. Statt wie geplant 3.000 wurden im abgelaufenen Jahr 3.600 Arbeitsplätze abgebaut. Auch in diesem Jahr sollen allein in Deutschland wieder mehr als 2.000 Arbeitsplätze gestrichen werden. Bis Ende 2005 sehen die Planungen weltweit den Wegfall von rund 12.000 Stellen vor. REM