berliner szenen Gespräch mit Don Juan

Eine Polin im Bus

Der Don Juan mit dem Herz aus Gold. Ich rauche, um mich daran zu erinnern, wie es früher einmal war, sagte er. Wie ich mich früher einmal eine Zeit lang gefühlt habe. Ich war einmal selbstsicher, heute habe ich nicht einmal mehr einen Gedanken dazu. Er kam gerade aus dem Kino und setzte sich. Schöne Bilder, tolle Tonspur, die kargen Handlungsschleifen ließen zu wünschen übrig. Polinnen als die Französinnen des Ostens.

Ein schönes Bild fiel ihm ein, ein eigenes. Die Polin im Bus von Wilmersdorf zur Messe, dreimal in der Woche, als er in der Messevermittlungsagentur arbeitete, kurz nachdem sein Chef bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. So was gab es wirklich damals, in den Neunzigern, erzählte er. Firmenchefs, die bei Flugzeugabstürzen ums Leben kamen. Die Trauer im Büro währte nicht lang. Der Nachfolger beschwerte sich über die Wasserflecke auf den Armaturen im Bad. Da außer ihm und dem neuen Chef nur Frauen in dem Büro saßen und es getrennte Badezimmer gab, war seine Schuld nicht von der Hand zu weisen.

Die Polin saß immer auf demselben Platz und las ein dickes Buch, auf welchem mit dicken Buchstaben der Name WIKTOR HUGO gedruckt stand. Viktor mit W. Nach einigen Tagen, fast Wochen hat er sich endlich getraut, sie anzusprechen. Er hat eine Frage gestellt, die ihm jetzt nicht mehr einfallen wollte, vielleicht nach dem Buch oder ihrem Reiseziel. Die Polin blickte aber nur einmal kurz auf und lächelte nachsichtig. Sie hatte ein rundes Gesicht, lange braune Haare, braune Augen. Sie hat nicht geantwortet, und dann sei seine Haltestelle gekommen.

Am selben Tag noch wurde er gekündigt. Der Wasserflecke wegen. Die Polin hat er nie wieder gesehen. RENÉ HAMANN