Der Junge, der aus dem Flugzeug fiel

„Stärker als die Angst“ von Ulrike Westermann: Ein Bremer Dokumentarfilm begibt sich auf die Spuren eines Auswandererschicksals

Viele Widersprüche der Geschichte von Solomon Mforbei Fusi bleiben unaufgelöst

Es war eine der „Vermischten Nachrichten“ in den Zeitungen, einer dieser grotesken Todesfälle, die kurz erschrecken und dann schnell wieder vergessen werden. Auf einem Acker unter der Einflugschneise des Züricher Flughafens fand ein Spaziergänger die Leiche eines afrikanischen Jungen. 20 Zentimeter tief war sein Abdruck in der Erde.

Als man dann seine Reisetasche und eine Bananenschale im Fahrwerkschacht eines Flugzeugs fand, das aus Kamerun kam, wurde klar, dass er dort als blinder Passagier mitgeflogen und herausgefallen war. Der Bremer Filmemacherin Ulrike Westermann ging diese Geschichte lange nicht aus dem Sinn, und sie beschloss, einen Dokumentarfilm darüber zu machen.

Das Bremer Filmbüro unterstützte die Recherche mit 5.000 Mark. Das war 2001 die Hälfte des Bremer Dokumentarfilmförderpreises. Heute ist er mit 15.000 Euro dotiert. Westermann fand mit nordmedia, Radio Bremen und arte weitere Geldgeber. Ein Sendetermin im Rahmen des arte-Themenabends „Blinde Passagiere“ steht noch nicht fest. „Stärker als die Angst“ ist erst der vierte Film, den einer der bisher 17 Dokumentarfilmförderpreisträger fertig gestellt hat.

Die Anschubfinanzierung ermöglichte Westermann, den Spuren von Solomon Mforbei Fusi in der Schweiz, in Frankreich und Kamerun zu folgen. Der knapp 60-minütige Film ist dementsprechend in drei Kapitel eingeteilt. Zuerst erzählen die Menschen aus dem Dorf, in dessen Nähe der Junge in den Tod stürzte, wie sie ihn „post mortem adoptierten“ und in einem „ordentlichen Grab“ begruben. Bei allem guten Willen spürt man, dass der 15-jährige Afrikaner ihnen lebendig sicher nicht so willkommen gewesen wäre. Diese Ambivalenz fängt die Kamera gut ein.

Die völlig unterschiedlichen Bilder von Solomon Mforbei Fusi, die die Menschen in den verschiedenen Ländern beschreiben, sind das wirklich Faszinierende an diesem Film.

In der Schweiz war er nur ein Toter, in Frankreich eine Art Findelkind. In seiner Heimatstadt Bamenda galt Solomon als ein begabter, aber auch etwas fauler Teenager, der die ihm zugedachte Rolle in der Familie nicht einnehmen wollte und deshalb in die vermeintliche Freiheit nach Europa floh. Es gibt nur wenige Fotografien des Flüchtlings. Auf keiner ist er genau zu erkennen. Jeder, der ihn kannte, schildert ihn anders. Viele Widersprüche seiner Geschichte bleiben unaufgelöst. Aber ist nicht solch ein Porträt, das zwangsläufig Stückwerk bleiben muss, gerade deshalb wahrhaftig?

Ästhetisch kommt der mit einer Digitalkamera aufgenommene Film eher bescheiden kunstlos daher. Inhaltlich aber erzählt er, wie eitel, anmaßend und falsch es ist, wenn wir glauben, uns ein gültiges Bildnis von einem Menschen machen zu können. Wilfried Hippen/fis

Uraufführung des Films: heute, 19.30 Uhr, Kino 46