„Ein wissenschaftlich sinnvolles Projekt“

Trotz aller Bedenken, was die gesundheitliche Seite angehe, ist Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) grundsätzlich für einen Modellversuch zur kontrollierten Abgabe von Cannabis in Berlin. Die Frage sei nur: „Wie bekommt man es hin?“

INTERVIEW PLUTONIA PLARRE

taz: Frau Knake-Werner, im Koalitionsvertrag steht: „SPD und PDS wollen eine moderne, wirksame Drogenpolitik unterstützen.“ Was heißt das in Bezug auf Cannabis?

Heide Knake-Werner: Das bedeutet zuallererst, dass wir einen Schwerpunkt auf Prävention legen. Wir wollen, dass insbesondere die jungen Menschen aufgeklärt sind und selbstbewusste Entscheidungen treffen können, was alle Süchte und Drogen angeht.

Wie verhält es sich mit dem Passus: „Die Koalitionsparteien prüfen, inwieweit der Besitz einer für den Eigenverbrauch bestimmten Menge sowie die Abgabe geringer Mengen weicher Drogen entkriminalisiert werden können“?

Das ist eine richtig und wichtige Forderung. Dafür setze ich mich auch ein. Mit der Justizsenatorin bin ich mir einig, dass der Besitz von bis zu 15 Gramm Cannabis strafrechtlich nicht verfolgt wird. Von mir aus hätten es auch, so wie in Schleswig-Holstein, 30 Gramm sein können. Aber das war nicht konsensfähig. Mehr als das können wir auf Landesebene nicht zur Entkriminalisierung tun, solange es keine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes gibt. Aber daran ist angesichts der Bundesratsmehrheit nicht zu denken.

Verfahren bis zu 15 Gramm werden schon seit geraumer Zeit eingestellt. Eine echte Neuerung ist das also nicht.

Aber dass wir es in den Landesrichtlinien festschreiben, schafft für die Konsumenten eine gewisse Sicherheit. 15 Gramm sind eine ganze Menge.

Wie stehen Sie zu dem Antrag der Grünen, einen Modellversuch zur kontrollierten Abgabe von Cannabis durchzuführen, so ähnlich wie es Schleswig-Holstein probiert hat?

Schleswig-Holstein ist mit seinem Antrag für das Modellprojekt bei der zuständigen Aufsichtsbehörde, dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, gescheitert. Wer einen solchen Modellversuch will, muss substanziell sagen, welche Kriterien erfüllt sein müssen, damit so ein Projekt genehmigt wird.

Halten Sie so ein Modellprojekt grundsätzlich für sinnvoll?

Was das angeht, schlagen zwei Seelen in meiner Brust: Ich finde, dass innovative Entwicklungen per Modellversuch befördert werden sollen und ich möchte nicht, dass sich junge Menschen, die Drogen konsumieren, in der kriminellen Szene herumtreiben müssen. Auf der anderen Seite bin ich hier schließlich für Gesundheit zuständig.

Das ist doch kein Widerspruch. Wer ehrlich und offen mit legalen und illegalen Drogen umgeht, ist glaubwürdiger, was die Aufklärung über die Gefahren und Wirkung angeht.

Der offene und ehrliche Umgang mit Alkohol und Zigaretten hat für meine Begriffe gefährliche Auswirkungen: Diejenigen, die zur Zigarette greifen, werden immer jünger. Auch Alkoholabhängigkeit setzt in immer jüngeren Jahren ein. Ich habe Bedenken, noch ein weiteres Feld für junge Menschen aufzumachen, das zu schweren gesundheitlichen Schäden führen kann.

Das Feld existiert doch längst quer durch alle sozialen Schichten und Altersgruppen. Alt-68er, Hausfrauen und Vorstandschefs ziehen genauso am Joint wie Krebskranke, Studenten und Jugendliche. Es gibt nur keine verlässlichen Zahlen. Laut Landesdrogenreferat hat sich die Zahl Berliner Jugendlicher, die kiffen, seit 1990 verdreifacht, trotz Cannabisverbot.

Die Frage ist: Machen wir Cannabis für noch mehr Jugendliche zugänglich, wenn wir diese Droge in Apotheken oder anderswo abgeben, oder gibt es Chancen, das zu begrenzen? Ich bin auch für Restriktionen gegen das Rauchen. Ich bin für ein Werbeverbot und dafür, dass man Zigarettenautomaten im Umkreis von Schulen und Kindergärten abbaut.

Bedeutet das unterm Strich: kein Modellversuch?

Nein. Um eine substanzielle Einschätzung über die Folgen einer kontrollierten Freigabe abgeben zu können, muss es wissenschaftlich fundierte Modellversuche geben. Die Frage ist nur: Wie bekommt man das hin?

Was folgt daraus für den Antrag der Grünen?

Ich erwartete von den Protagonisten, dass sie ihren Antrag so unterfüttern, dass man den Modellversuch unter Einbeziehung der vielen Probleme und Bedenken auch wirklich genehmigt bekommt.

Erst dann würden Sie einen entsprechenden Vorstoß im Senat unternehmen?

Ja.

Wie schätzen Sie die Stimmung ihrer SPD-Kollegen ein? Innensenator Körting hat sich bereits gegen einen Modellversuch ausgesprochen. Klaus Wowereit hat in Mexiko klar für ein Drogenverbot votiert.

In dem Punkt habe ich eine Differenz mit Herrn Wowereit. Das habe ich nach seinem Vorstoß auch deutlich gemacht. Was den Modellversuch angeht, wird es bestimmt eine Auseinandersetzung im Senat geben, weil es unterschiedliche Gewichtungen gibt. Ich möchte aber noch einmal ganz deutlich sagen: Ich halte so ein Projekt aus wissenschaftlicher und politischer Sicht für sinnvoll, um in der Öffentlichkeit abgesicherte Positionen vertreten zu können. Aber was die gesundheitliche Seite angeht, sind meine Sorgen überhaupt nicht ausgeräumt.

Anfang Januar hat zu der Frage eine Expertenanhörung im Gesundheitsausschuss stattgefunden. Sie haben gefehlt.

Terminkollisionen sind nicht immer vermeidbar. Ich habe natürlich zur Kenntnis genommen, dass die Experten alle der Meinung sind, dass Cannabis keine Einstiegsdroge ist und von daher bestimmte Folgeschäden nicht eintreten. Was mir zu denken gibt, ist, wenn mir Lebensmittel- und Medikamentenkontrolleure aus meinem eigenen Hause berichten, dass die Konzentration der Cannabisprodukte heutzutage durch Überzüchtungen deutlich höher ist, als dies jemals der Fall war.

Auch die Landesdrogenbeauftragte Elfriede Koller hat sich bereits öffentlich gegen einen Modellversuch positioniert. Gesetzt den Fall, das Projekt kommt – wie soll das mit Frau Koller gehen?

Ich arbeite mit der Drogenbeauftragten sehr gut zusammen. Auch wenn es immer mal wieder einen Dissens gegeben hat, sind mir ihre Erfahrungen und ihr Wissen sehr wichtig.

Frau Koller war auch gegen die Einführung der Drogenkonsumräume, die Anfang Februar öffnen werden.

Ja, zum Beispiel. Trotzdem haben wir das gemacht, und Frau Koller hat den Prozess sehr loyal begleitet. Wenn der Antrag für den Modellversuch so abgesichert ist, dass ich dazu politisch stehen kann, wird er auch hier im Hause mitgetragen.

Als PDS-Bundestagsabgeordnete haben Sie 1994 für den Antrag ihrer Fraktion gestimmt, die Vorlage eines Gesetzentwurfs zur sofortigen Legalisierung von Cannabis zu fordern. Wie ist das mit Ihrer heutigen Sichtweise vereinbar?

Damals war ich Abgeordnete und für viele wichtige Bereiche zuständig, aber nicht für Gesundheitspolitik. Heute bin ich Gesundheitssenatorin. Als solche habe ich deutlich mehr Erfahrungen und Informationen über junge Leute im Umgang mit Suchtstoffen. Dadurch bekommt man zwangsläufig eine andere Sichtweise.

Am Mittwochabend veranstalten die Grünen im Abgeordnetenhaus zu dem Thema eine Podiumsdiskussion. Sie lassen sich wegen anderweitiger Verpflichtungen durch ihren Staatssekretär vertreten. Werden Sie sich dennoch alsbald mit den Grünen an einen Tisch setzen?

Ich fände es in Ordnung, wenn die Grünen auf mich zukämen, um ihre Argumente detailliert mit mir auszutauschen. Ich hätte auch sehr gern erklärt, warum auf der Bundesebene keine Initiative von Rot-Grün zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes gestartet wird.

Eine berechtigte Frage.

Das ist für mich ein zentraler Punkt. Auch hier zeigt sich nämlich: Was macht man, wenn man in der Opposition ist, und was, wenn man in der Regierung ist. Und auf den Bundesrat kann man auch nicht alles schieben. Als ich unter Rot-Grün im Bundestag war, waren die Mehrheitsverhältnisse in der Länderkammer nämlich noch anders als heute.