Nächstes Mal anders machen

Der Wahrheit-Reporter vor Ort: Beobachtungen beim hessischen Kannibalen-Prozess

In diesem Moment kam nichts, gar nichts: „Die Eier schweigen“, sagte er

KASSEL taz ■ Hier also isst man Berliner. Schon am Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe werden sie angeboten. 85 Cent das Stück. Hier kam auch Bernd Jürgen Brandes an. Ein Berliner. Der Hesse Armin Meiwes hat ihn abgeholt. Morgens um Viertel nach zehn. Drunten in der Kasseler Innenstadt hätte er seinen Berliner billiger haben können – für 49 Cent bei der Back-Factory. Für 1,35 Euro sogar inklusive Kaffee.

Aber Meiwes wollte ja keinen Kaffee zum Berliner trinken. Sondern guten südafrikanischen Rotwein. Das tat er dann auch. Gut ist ihm das nicht bekommen. Er sagt zwar, er sei nun zufriedener mit dem Berliner intus. Sei selbstsicherer und könne sogar besser Englisch sprechen.

Rein rechtlich aber war das mit dem Essen des Berliners nicht in Ordnung – meint der Staatsanwalt. Einfach so mir nichts, dir nichts einem Berliner den Penis abzuschneiden, ihn abzustechen, auszunehmen wie ein Schwein und dann gut 20 Kilogramm seines Fleisches anzubraten und zu verspeisen, das gehe nicht. Ja, und weil Armin Meiwes dabei nicht nur Appetit, sondern auch noch Lust bekam, sexuelle gar, und hinterher beim Anschauen des selbst produzierten Videos immer und immer wieder onanierte, sei das eindeutig Mord – Mord zur Befriedigung des Geschlechtstriebes.

Es fällt schwer, dies in diesen Tagen in Kassel so richtig nachzuvollziehen. Zwar ist der viereinhalb Stunden lang dauernde Meiwes-Videofilm von technisch durchaus annehmbarer Qualität. Aber der günstig direkt gegenüber des Landgerichts gelegene Ufa-Palast hat ihn bislang nicht ins Programm aufgenommen. Offenbar scheiterte die Freigabe am Schöffinnentest – der Dame wurde schwummrig, als sie mit ansehen musste, wie Meiwes mit dem abgetrennten Kopf des Berliners sprach während er dessen Körper aufschlitzte und ihm dabei die Eingeweide entgegenfielen. „Das würde ich beim nächsten Mal auch anders machen“, sagt Hobbymetzger Franky, wie Meiwes sich gerne nannte, vor Gericht. Aber ob er dazu noch mal kommen wird? Sein Anwalt gibt die Hoffnung nicht auf, dass sein Mandant eines Tages mal wieder in Freiheit wird essen können. Denn, fragt der Hessenadvokat, wer ist denn hier der eigentlich Schuldige? Nur der Hesse? Nein. Der Berliner doch wohl auch, der wollte doch verstümmelt, getötet und gegessen werden. Der hatte Meiwes doch zu solchen Taten verleitet. Und deshalb sei das Berlinervespern juristisch nur als Tötung auf Verlangen zu werten. Höchststrafe fünf Jahre. Außerdem – psychisch krank und deshalb vermindert schuldfähig sei Hessen-Hannibal, wie ihn böse Zungen nennen, schon mal gar nicht, meint der Anwalt und auch die psychiatrischen Gutachter.

Das wäre ja auch schlimm – denn womöglich käme Meiwes dann in die Klapsmühle und nie wieder raus. Nie wieder könnte er seine Freunde treffen, die so schick-verunstaltet vor Gericht erschienen, die sich Sonnenbrillen aufsetzten und deshalb gegen geschlossene Flurtüren knallten, die Skimützen bei 22 Grad Celsius Raumtemperatur trugen – alles nur, damit sie nicht erkannt werden. Damit man hinterher an ihrem Arbeitsplatz im Hotel oder in der Firma nicht lacht über ihre kleinen Schwächen – darüber, dass sie sich in Armins Schlachtraum nackt am Fleischerhaken haben an die Decke ziehen lassen, darüber, dass sie sich gerne als devote Schlachtsau titulieren ließen und Meiwes’ Stiefel ableckten. Keine schönen Geschichten, fürwahr nicht.

Meiwes schmeckten diese Perversionen offenbar auch nicht, er hat die Jungs jedenfalls nicht verspeist, er wollte sie einfach nicht. Sie waren zu dick, zu feige, sie waren Weicheier (ihnen wurde im unbeheizten Schlachtraum zu kalt), und – was wahrscheinlich der eigentlich ausschlaggebende Grund war – das waren alles keine Berliner. Keine echten Kerle wie der tapfere Siemens-Ingenieur aus Tempelhof, der den letzten Kick, den größten Orgasmus in Hessen suchte und dann leider so kläglich scheiterte. Als sein Penis schon bis zur Ungenießbarkeit verbrutzelt war, als er noch immer auf den tollsten aller tollen Höhepunkte hoffte, in diesem Moment kam nichts, gar nichts: „Die Eier schweigen“, sagte er. Meiwes hat den Satz auf Video gebannt. Ein trauriges Ende eines Berliners. EDUARD POHL