„Wir spielen Lemgo gegen Aurich“

Deutsche Hochschulen sind dann Spitze, wenn sie die besten StudentInnen der ganzen Welt anziehen. Der Generalsekretär des Akademischen Austauschdienstes, Christian Bode, will eine Differenzierung in Spitzenunis der Lehre und „research universities“

Interview CHRISTIAN FÜLLER

taz: Herr Bode, Kanzler und Bildungsministerin haben ein Konzept für Spitzenhochschulen vorgestellt. Wie finden Sie diese Initiative?

Sie ist überfällig. Sie stößt eine Debatte über das Niveau unserer Hochschulen an, die wir längst hätten führen müssen. Hinter verschlossenen Türen wird die Differenzierung der akademischen Landschaft ja bereits diskutiert – nur die Öffentlichkeit behandelt das noch wie ein Tabu: dass es ein Nebeneinander von Spitzenhochschulen der Forschung und solchen der Lehre geben muss.

Aber gibt es diese Sortierung nicht längst? Durch die Existenz von Fachhochschulen und Universitäten?

Ja, die gibt es. Aber sie reicht nicht, auch innerhalb der Universitäten brauchen wir mehr Unterschiede. Nur 10 Prozent derjenigen, die an Unis studieren, gehen später tatsächlich in die Forschung. 90 Prozent wollen dagegen in die Praxis. Welchen Sinn macht es, alle diese Studierenden nach dem gleichen Muster akademisch zu bilden? Es täte uns daher sehr gut, ein halbes Dutzend absoluter Spitzenuniversitäten zu haben …

die über das Land hinaus Blinkzeichen geben, die viel beschworenen Leuchttürme.

Das ist eine wichtige Funktion, die nach draußen verkündet: „Hallo, hier lohnt es sich herzukommen, hier versammelt sich eine kritische Masse an exzellenten Professoren und Topstudierenden!“ Vom Image dieser Einrichtungen würde gleichzeitig das ganze Hochschulsystem profitieren. Sie sind die Brainpools, die in der Graduiertenausbildung stark sind, im Zusammenbringen der besten Doktoranden aus der ganzen Welt.

Und für wen blinkt der doofe Rest der Unis dann noch?

Halt, das ist ein Missverständnis. Wir dürfen die Leuchttürme keinesfalls mit einem Absinken der anderen Unis bezahlen. Neben der Hand voll Topeinrichtungen brauchen wir noch weitere 25 bis 30 guter research universities. Die sind stark in der Forschung und auch als Einrichtungen der wissenschaftlichen Nachwuchsbildung renommiert. Dem könnten 50 bis 70 Universitäten folgen, deren Schwerpunkt in der herausragenden Ausbildung von Studienanfängern liegt. Der Punkt ist: Diese Hochschulen müssen alle sehr gut sein – nur auf unterschiedlichen Feldern.

Da muss noch viel geschehen. Allein durch 250 Millionen Euro jährlich zusätzlich für handverlesenen Eliteunis werden die anderen Hochschulen in der Lehre nicht besser.

Schauen Sie sich mal an, was Tony Blair gerade versucht. Er gründet 70 centres of excellence der Lehre. Jedes Zentrum bekommt 500.000 Pfund jährlich. Das ist ein Millionenprogramm, eine massive Investition in die Qualität einer professionellen akademischen Ausbildung. Der Bund sollte sich überlegen, ob er neben der Deutschen Forschungsgemeinschaft eine spiegelbildliche Institution einrichtet, die sich um die Exzellenz der Lehre an Hochschulen kümmert.

Ob so viel Geld da sein wird? Frau Bulmahn finanziert ihr Eliteprogramm ja auch durch Umschichten aus dem Hochschulbau.

Das darf nicht sein. Ein Nullsummenspiel können wir uns nicht leisten, dann wäre die ganze Elite- und Innovationsoffensive ein Schildbürgerstreich. Ich hoffe, dass über die Neuregelung des Hochschulbaus noch nicht das letzte Wort gesprochen ist.

Sie haben von der kritischen Masse an hoch begabten Studierenden gesprochen. Was meinen Sie damit?

Dass wir in Deutschland noch zu viel Lemgo gegen Aurich spielen. Es ist essenziell für ein Hochschulsystem, wenn es Topleistungen bringen will, dass es wirklich die besten Leute aus aller Welt zusammenbringt – also in der Weltliga mitmischt.

Warum sollten die Topleute hierher kommen? Die USA sind doch viel attraktiver.

Es stimmt, die bemerkenswerte Leistung der Vereinigten Staaten ist das kulturelle Klima: die Fähigkeit, Fremde aufzunehmen und heimisch zu machen. Schauen Sie sich den deutschen Nobelpreiträger Störmer an, der in den USA in seiner Arbeitsgruppe unter vier postdocs und zwei Doktoranden gerade einen geborenen US-Amerikaner hat – und fünf Leute aus verschiedenen Ländern und fast allen Kontinenten.

Also noch mal: Warum sollten die besten postgraduates dann hierher kommen?

Machen Sie sich mal keine Sorgen, wir haben eine Menge zu bieten. Und die komplette Ivy League hat gar nicht so viel Kapazität. Die Amerikaner können nicht so viel gute Köpfe ausbilden, wie es sie auf der Welt gibt.

Der Umgang mit Gaststudenten hierzulande gilt nicht eben als unsere Stärke. Hohe Abbrecherquoten, allein gelassene Menschen – selbst die Unipräsidenten führen bittere Klage.

Das ist, leider, ein großes Problem. Es beginnt beim Kulturellen, dem Umgang mit Fremden. Und es endet bei großen und kleinen bürokratischen Hemmnissen. Wir als DAAD haben da wichtige Schritte unternommen. Wir überweisen den Hochschulen Millionenbeträge für Ausländerbetreuung.

Was müsste sich ändern?

Wenn wir unseren Doktorandenanteil akademischer Zuwanderer von 7 auf 30 oder 40 Prozent steigern wollen, wie es in den USA oder Großbritannien ist, gibt es viel zu tun. Wir sollten mit der Sprache flexibler umgehen. Wir sollten die Leute besser betreuen. Und wir müssen endlich das Zuwanderungsgesetz unter Dach und Fach bringen. Es ist ein Skandal, dass wir damit seit Monaten in der Schwebe sind.

Das sind ja alles keine speziell akademischen Fragen.

Ich weiß. Was eigentlich Attraktivität ausmacht, ist die Arbeitsatmosphäre. Junge Wissenschaftler, die sich auf den Weg machen, suchen viel Selbstständigkeit und Anerkennung, sie meiden Hierarchien. Erfinder- und Forschergeist entstehen nicht, wenn sie nach tausend Kilometern Reise auf einen Professor treffen, der den Ordinarius gibt.

Sondern?

Sie brauchen ein gleichberechtigtes Miteinander, sie brauchen das, was man heute Cluster von guten Profs und Studenten nennt. Und was Humboldt mit der Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden wirklich gemeint hat.