Durchgangsstation Sehnsucht

Und niemand weiß, was fehlt: Das belgische Elektronik-Projekt Styrofoam beim Club Neustadt in der Volksbühne

Es klingt natürlich komisch, wenn man den Titel des Styrofoam-Albums „I’m What’s There To Show That Something’s Missing“ ins Deutsche übersetzt: „Ich bin, was hier ist, um zu zeigen, dass etwas fehlt.“ Doch es macht durchaus Sinn, diese unbeholfen wirkende Formulierung so stehen zu lassen. Denn auf dem Album greift der belgische Elektronikmusiker Arne van Petegem zur Akustikgitarre und sucht angesichts einer um sich greifenden Ratlosigkeit nach unbeschwerten Träumen.

Damit läuft der zwischen Antwerpen und Berlin pendelnde van Petegem im Gleichtakt mit seinem Berliner Label Morr Music. Bisher verschickte Thomas Morr meist reduzierte Elektronik aus dem Prenzlauer Berg um den Globus: Saubere Synthies deuteten Gefühle an, schnippische Drumloops bezeugten ein vages Unbehagen, Melodiechen stifteten zum La-la-la-Mitsingen an.

Inzwischen wird deutlich, dass die bisherigen Veröffentlichungen von Morr Music und Styrofoam Ergebnisse eines Lernprozesses sind: sich mit Hardware beschäftigen, also dem Sampler und dem Laptop, sich mit Software beschäftigen, Logic etwa. Natürlich geht auch diese Beschäftigung mit der Infrastruktur der Klangerzeugung weiter, immer neue Softwares wie „Live“ oder das DJ-Tool „Final Scratch“ sorgen dafür.

Doch jetzt weiß man, wie man mit digitalen Maschinen Gefühle kommuniziert. Die 25- bis 35-jährigen, Turner auf Ladomat, Roman auf Karaoke Kalk, sie haben sich reingeladen in die Softwares und können mit ihnen temporäre Einheiten bilden. Was bleibt, ist die Sehnsucht. Niemand weiß, wonach sie sich richtet, außer eben: „Etwas fehlt.“ Also sucht man weiter und landet in der Durchgangsstation „Jugend“. Das ist die Zeit, in der die Seele eine Rumpelkammer ist, einsturzgefährdet wie die mickrigen Bauten der Neustadt, die Bert Neumann in die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz gebaut hat.

Styrofoam wird am Sonntag seinen Sound der gedoppelten Sehnsucht also im passenden Bühnenbild inszenieren. Dabei sind die neuen Tracks durchdrungen von einem Wunsch nach Unbeschwertheit. Raus aus dem Alltag, rein in die Träume – das musikalische Vorbild für Styrofoam ist dafür der britische Dreampop aus den mittleren Achtzigern von Bands wie Felt, den Pastels oder Primal Scream, und der aus den frühen Neunzigern von Shoegazer-Bands („Auf-den-Schuh-Starrer“) wie My Bloody Valentine, Ride oder Slowdive. Den Letztgenannten ist auch die letztjährige Morr-Music-Compilation „Blue Skied An’ Clear“ gewidmet. Allein dieser Titel indiziert ja den Wunsch nach einer metaphysischen Aufgehobenheit.

Vom Abstrahieren und Andeuten ist Styrofoam also zum Auskosten übergegangen. Weit schweifende Melodien entströmen menschlichen Mündern, Texte des Begehrens, des Vermissens, der Schuldzuweisung werden in Szene gesetzt. Dazu kommen farbenfrohe Pingpongs, Echos und Synthesizer-Programmierungen aus der jüngeren Vergangenheit. Und niemand weiß, wie’s weitergeht.

CHRISTOPH BRAUN

So, 22 h, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz: MS John Soda, Styrofoam, Fat John (MC) + Daniel Meteo (DJ)