Ernüchterung in der Zeit nach dem Hype

Das neue Zauberwort beim virtuellen Lernen heißt „Blended Learning“, eine Mischung aus Online-Angeboten und klassischem Präsenzunterricht

von CHRISTOPH RASCH

„Vor drei Jahren haben auch wir an einen Hype geglaubt“, sagt Günter Maier vom Schulbuchverlag Klett – und daran, dass E-Learning die klassischen Lernmethoden ablösen könne. „Das war ein Fehler.“ Günter Maier ist Projektleiter der Schüler-Website klett-training.de.

Inzwischen ist in Sachen virtuelles Lernen der Boom vorbei und in der Branche Ernüchterung eingekehrt. Auch Klett hat reagiert und sein Online-Angebot völlig umgekrempelt: Auf der im Februar neu gestarteten Website fehlt der begleitende menschliche „Tutor“. Nun fragt die Software nur noch „Basic Facts“ in den Hauptfächern Deutsch, Mathe und Englisch ab – und das ganze neuerdings kostenlos. Denn, so haben Schulbuchverlage und andere kommerzielle Anbieter erkannt: In Sachen E-Learning lasse sich eben nicht mehr so leicht das große Geld verdienen.

Noch immer ist das Gros der Lern-Software auf Schüler zugeschnitten, die nachmittags in ihrer Freizeit lernen. Bunte Bilder und „Action“ auf dem Bildschirm stehen hier oft im Vordergrund. Und während Schüler den Reizen des Mediums schnell erliegen, haben viele Lehrer Schwierigkeiten, aus dem Überangebot pädagogisch sinnvolle Programme für den Einsatz im Unterricht auszuwählen. Umso mehr, „weil sich nur sehr wenig Software für die Schule eignet. Dazu kommt, dass Lehrer für den Umgang mit dem Computer gar nicht ausgebildet sind“, sagt Thomas Feibel. Der Journalist hat sich mit Rezensionen von CD- und Online-Angeboten für Schüler einen Namen gemacht (www.feibel.de). Er glaubt: „Vor ein paar Jahren lehnten die meisten Lehrer den Computer zum Lernen blind ab, heute sind sie blind dafür.“

Eine Ausnahme seien die Aufsatz- und Referate-Sammlungen im Internet, aus denen sich viele Schüler nur allzu gerne bedienen. „Die meisten solcher Angebote sind nicht besonders seriös und voller Fehler“, sagt Feibel. Viele Lehrer würden nur an den Fehlern oder am Duktus merken, „dass ihre Schüler dort einfach abschreiben“.

„Ein Pauschalvorwurf“, sagt Uwe Himer vom Großanbieter People.de, wo 150.000 registrierte Schüler monatlich auf eine Million Referate zugreifen. Drogen, Grass und Goethe sind die beliebtesten Stichworte in den Suchmaschinen der angeschlossenen Websites loesungsbuch.de oder referate.de. Doch wer vorhandene Arbeiten „einfach abschreibt oder klaut, fällt nicht nur dem Lehrer auf“, so Himer, „sondern verstößt auch gegen unsere Nutzungsbedingungen.“

Doch der Ideal-Nutzer des E-Learnings, der „disziplinierte Selbstlerner“, ist eher selten: „Blended Learning“ heißt deshalb das Zauberwort – eine Mischung aus virtuellen Angeboten und klassischem Präsenzunterricht mit Lernkontrolle.

„E-Learning kann den Unterricht nur begleiten, nicht ersetzen“ sagt Bernd Mikoszeit. Er ist Leiter des Bereichs Bildung und Medien bei der Gesellschaft für Pädagogik und Information (GPI) und meint: „Gute E-Learning-Software muss so konzipiert sein, dass sie als ein Modul in den klassischen Unterricht integriert werden kann.“ Neben zahlreichen anderen Institutionen verleiht auch die GPI (www.gpi-online.de) mit der „Comenius-Medaille“ alljährlich ein Gütesiegel für herausragende Lernsoftware.

Preisträger sind E-Learning-Angebote wie lokando.de – ein „von Lehrern für Lehrer“ gestaltetes Programm mit erweiterbaren Themen-Datenbanken und interaktiven Arbeitsblättern, das derzeit an rund 50 Schulen eingesetzt wird. Noch größer denkt man in Nordrhein-Westfalen. Dort startet Mitte des Jahres mit abitur-online.de eine modellhafte Datenbank-Plattform, auf die 150 gymnasiale Oberstufen gemeinsam zugreifen sollen. Vernetzung ist angesagt, und Bildungsverbände fordern, Schulen auch mit Theatern, Museen und Bibliotheken direkt zu verknüpfen.

GPI-Mann Mikoszeit beobachtet noch eine weitere Entwicklung auf dem Markt: „Immer öfter werden Mischformen oder Kombinationen von Lern-Medien angeboten.“ Die Schüler arbeiten mit Übungen auf Multimedia-CD-ROMs, die übers Internet aktualisiert und von einem begleitenden Tutor online ausgewertet werden. „Die Nutzer bekommen ein Rundumpaket und die Anbieter eine größere Kundenbindung“, sagt Mikoszeit.

Neu ist auch dieses Konzept indes nicht – und auch sonst ist Revolutionäres auf dem E-Learning-Sektor derzeit nicht zu erwarten, stattdessen weitere Experimente: In den nächsten Wochen etwa will People.de mit dem neuen E-Learning-Angebot Nachhilfe.net ganz neue Wege gehen und ein Internet-Forum schaffen, „in dem Lehrer und viele Schüler gleichzeitig online Wissen austauschen und abfragen können“, erklärt Himer – eine Art „Wissens-Börse“ nach dem Napster-Prinzip also, ein weiterer Test-Ballon in der E-Learning-Landschaft.

Man dürfe jedoch nicht auf die perfekte Lern-Plattform hoffen, glaubt Fachjournalist Thomas Feibel, so lange die Schulen diese nicht in den Unterricht einbauen könnten. „Eine vernünftige Schulbibliothek mit verschiedenen Medien“, sagt er, „macht mehr Sinn, als wenn 30 Schüler vor 30 Computern hocken und dasselbe machen.“