Silvios Feigenblatt

Berlusconis Staatsfernsehen RAI hat seit gestern eine neue Chefin – mit seinem Segen und dem der Opposition

ROM taz ■ Als am letzten Freitag die Präsidenten der beiden Kammern des italienischen Parlamentes den prominenten Journalisten Paolo Mieli zum neuen Chef der RAI ernannten, schien ein kleines Wunder geschehen: Mieli durfte sich über Vorschusslorbeeren aus allen politischen Lagern freuen, und das Land konnte sich in dem Gefühl wiegen, der Staatssender sei dem Zugriff des Ministerpräsidenten Berlusconi – der ja als TV-Unternehmer zugleich Hauptkonkurrent der RAI ist – entzogen. Denn Mieli war von der Opposition vorgeschlagen worden.

Doch das Wunder währte nur fünf Tage, dann warf Mieli entnervt das Handtuch. Erneut zeigte sich, dass die verfahrene Situation in der italienischen Medienlandschaft auch durch kluge Personalentscheidungen nicht zu lösen ist. Seit Jahren schon wird der TV-Markt von einem Duopol beherrscht: auf der einen Seite Berlusconis Mediaset mit drei Sendern, die stabil über 40 Prozent Einschaltquote erreichen, auf der anderen die RAI mit ihren drei Wellen, die bis 2001 mit circa 48 Prozent die Nase vorn hatten. Mit Berlusconis Wahlsieg 2001 wurde das Duo- zum Quasi-Monopol. Denn immer schon galt die RAI als Beute der Politik.

Kaum aber war die neue Berlusconi-treue RAI-Führung unter Präsident Antonio Baldassarre im Februar 2002 inthronisiert, da meldete sich der Regierungschef zu Wort, nannte mit Enzo Biagi und Michele Santoro zwei Journalisten namentlich, die einen „kriminellen Gebrauch“ des Fernsehens betrieben, sprich: Berlusconi kritisiert hätten. Der ebenfalls neu berufene Generaldirektor Agostino Saccà – „ich und meine ganze Familie wählen Berlusconi“ – meldete bald darauf Vollzug: Die beiden RAI-Stars und Quotenbringer waren aus dem Programm verschwunden. Stattdessen zogen neue Chefredakteure, neue Magazinmacher ein, die Regierungstreue mit beruflicher Inkompetenz verbanden, die RAI auf Linie und die Quoten in den Keller brachten.

Weder die Postfaschisten noch die Christdemokraten wollten dem Wachsen der medialen Übermacht weiter zusehen; nach dem Rückzug der beiden Oppositionsvertreter und des UDC-Manns im RAI-Verwaltungsrat schon im letzten November zwangen sie schließlich den RAI-Chef Baldassarre im Februar zum Rücktritt. Mieli sollte nun als neuer RAI-Präsident die Wende bringen. Explizit als „Garant“ der Opposition auf den Chefsessel berufen, war er zwar von vier regierungsnahen Verwaltungsräten eingemauert, aber selbst die gelten nicht als Knechte. Und Mieli machte gleich klar, dass er nicht als Frühstücksdirektor zum Feigenblatt Berlusconis werden wollte. Er forderte als Vorbedingung für die Annahme des Chefpostens die Rückkehr der beiden vom Ministerpräsidenten aus der RAI gemobbten Journalisten, und er reklamierte das Recht, einen neuen Generaldirektor zu bestimmen; die Tage des Berlusconi-treuen Saccà schienen damit gezählt.

Stattdessen räumte Mieli am Mittwoch das Feld, wegen „technischer und politischer Schwierigkeiten“. Kaum nämlich waren seine Bedingungen publik geworden, hatte ein wahres Sperrfeuer aus den Reihen von Berlusconis Forza Italia und seiner Tageszeitung Il Giornale eingesetzt.

Stattdessen soll nun mit Lucia Annunziata eine andere Journalistin aus dem Oppositionslager auf den Präsidentensessel. Anders als Mieli hat sie aber nicht den Segen der Oppositionsparteien, und anders als Mieli stellt sie gleich gar keine Vorbedingungen. Agostino Saccà, Berlusconis Statthalter in der RAI, ließ gleich wissen, er könne ausgezeichnet mit Frau Annunziata. Bleibt Saccà an seinem Platz, dann hätte Berlusconi wirklich Grund zur Freude: Dann hätte er mit Lucia Annunziata das linke Feigenblatt für die auf Kurs gebrachte RAI gefunden. Und der Nutzen für den Herrn mit dem Interessenkonflikt wäre nicht bloß politisch. Die Börse jedenfalls hat ihr erstes Urteil schon gesprochen: Kaum war Lucia Annunziata nominiert, legte die Mediaset-Aktie gut 5 Prozent zu.

MICHAEL BRAUN