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Archiv-Artikel

Bis auf Schussweite

Schriftsteller in Uniform: Während Jaroslav Hašek im „Schwejk“ den Partisanenkampf in den Alltag tragen wollte, träumte Edwin Erich Dwinger in seinen Romanen von einem neuen Soldatentypus

Hašek hat vom Hundehandel bis hin zum Sich-blöd-Stellen alles ausprobiert

von HELMUT HÖGE

In den Dreißigerjahren wurden zwei Kriegsschriftsteller berühmt: ein halbrussischer Fähnrich der preußischen Kavallerie, Edwin Erich Dwinger, und ein tschechischer Unteroffizier des KuK-Heeres: Jaroslav Hašek. Ihre „Frontfeuilletons“ könnten nicht unterschiedlicher sein.

Dwingers Trilogie „Die Deutsche Passion“ feiert den soldatischen Mann und beschwört die Treue zwischen Führern und Gefolgschaft. Während Hašek in den „Abenteuern des braven Soldaten Schwejk“ die List und den Überlebenswillen der kleinen Frontschweine preist. Sein Antimilitarismus hat noch bei dem alten Offiziersliteraten Ernst Jünger Bestrafungsreflexe ausgelöst: „Dass dieser Hanswurst der Anarchie auch in Deutschland das Entzücken der Kenner hervorgerufen hat, ist das Symptom eines Zustandes, der einer anderen Behandlung bedarf als der literarischen“, schrieb er. Dem humorlosen Dwinger war Jünger immer ein Vorbild.

Hašek und Dwinger sind sie sich persönlich mehrmals nahe gekommen – bis auf Schussnähe! Der Prager Bohemedichter Ha- šek desertierte 1916 an der russischen Front und schloss sich zunächst der tschechischen Legion an. Dann trat er zur Roten Armee über, die ihn im ukrainischen Städtchen Bugulma als Ortskommandanten einsetzte. Im sibirischen Irkutsk, wo man ihn noch heute in guter Erinnerung hält, war er dann als Armeekommissar nicht nur Herausgeber dreier Zeitungen (auf Ungarisch, Mongolisch und Deutsch), sondern auch für die in den sibirischen Lagern internierten Kriegsgefangenen verantwortlich.

Zu diesen zählte der schon 1914 an der Front verwundete junge deutsche Fähnrich Dwinger. Als 1917 die Lager geöffnet wurden, schloss er sich den konterrevolutionären Truppen des Generals Koltschak an. Diese rückten erst bis zum Ural vor, flüchteten jedoch vor den Roten bis hinter den Baikalsee zurück, wo Dwinger sich mit einigen anderen deutschen Kriegsgefangenen den Rotarmisten ergab. Damit war wieder „Kommissar Gaschek“ für sie verantwortlich. Hašek setzte die Deutschen in den Zug. Zurück in ihre Heimat.

Auch er selbst fuhr wenig später nach Hause. Das Zentralkomitee in Moskau hatte ihn angefordert, damit er in Böhmen die dortige KP auf Vordermann bringe. Kaum war er wieder in Prag, mit seiner sibirischen Frau, erlahmte seine Parteidisziplin. Er saß nur noch in Kneipen, wo er vor allem am „Schwejk“ schrieb, den er jedoch nicht mehr beenden konnte. 1923, im Alter von 40 Jahren, starb er.

Dwinger veröffentlichte als Erstes seine sibirischen Lagererinnerungen, dann einen blutrünstigen Bericht über den vergeblichen Kampf der Koltschak-Truppen und schließlich einen Roman über eine von ihm nach der Heimkehr eingerichtete Anlaufstelle auf einem Gutshof in Ostpreußen, wo seine Kameraden sich bei leichter Landarbeit erholen und neu orientieren sollten. In Dwingers Rehalager für Sibirientraumatisierte ist noch nicht entschieden, wohin die Reise geht. Deswegen sind in ihren „Talking Cures“ noch alle Argumente – von links bis rechts – erlaubt.

Aber da diesen Männern nun mal das Missgeschick passiert ist, dass sie – wie Heiner Müller sagen würde – zwar töten, aber nicht ficken können, gibt es eigentlich keine andere Perspektive für sie, als sich an den konterrevolutionären Freikorpskämpfen zu beteiligen. Im Baltikum, in Schlesien, in Berlin usw. Dieser Kampf geht dann folgerichtig weiter, mit der Legion Condor und schließlich dem Russlandfeldzug.

Dwinger lässt als Autor kein Gemetzel mehr aus, bis hin zu den letzten deutschen Rückzugsgefechten. So kämpften z. B. einige versprengte Landser noch bis in die Fünfzigerjahre als Waldpartisanen in Litauen. Ihnen, so kann man vielleicht sagen, hat Dwinger seinen letzten faschistischen Gesang gewidmet. Dieser Theodor Körner der finstersten Reaktion erlebt derzeit gerade eine Renaissance – mit östereichischen Neuauflagen und ganzseitigen FAZ-Rezensionen.

Ähnliches gilt aber auch für seinen Gegenspieler: Jaroslav Hašek, dessen „Urschwejk“ erst vor wenigen Jahren auf Deutsch erschien. Beide hatten sich Grimmelshausens Roman aus dem 30-jährigen Krieg „Simplizius Simplizissimus“ zum Vorbild genommen. Während es über Hašek inzwischen eine weit verzweigte Forschung gibt, existiert über Dwinger nicht einmal eine Biografie. Der Bestsellerautor erwarb in den Dreißigerjahren einen Bauernhof im Allgäu, wo er 1983 auch starb, seine Frau hütete fortan die Rechte.

Den Anfang zu einer kritischen Dwinger-Lektüre und -biografie machte Klaus Theweleit in seiner Studie über „Männerphantasien“. Wenn wir hier Hašek Dwinger gegenüberstellen, dann reden wir über den Gegensatz zwischen linkem Partisanentum und rechtem Militär. Jaroslav Hašek hat dieses Thema selbst thematisiert, Dwingers antikommunistischer Furor verhinderte so etwas. (Dabei steckt in seiner „Deutschen Passion“ fast ebenso viel Autobiografisches wie im „Schwejk“.)

Hašek hat vom Hundehandel über die Tierzeitung bis hin zum Sich-blöd-Stellen Schwejks alles selber ausprobiert. Letzteres, nachdem er im Zuge einer Koltschak-Offensive an die Wolga als Ortskommandant von Bugulma untertauchen musste – und sich dabei als debiler Knecht ausgab.

Mit dem „Urschwejk“, der schon vor dem Ersten Weltkrieg entstand, haben wir bereits einen alltagspartisanischen Entwurf vorliegen. Durch die Teilnahme am russischen Bürgerkrieg und der Kenntnis der Literatur darüber eignet sich Hašek für seinen späteren „Schwejk“ eine neue Formfreiheit an. Am nächsten kommen diesem Werk die Bürgerkriegsromane z. B. von Artjom Wesjoly und Leonid Leonow. Wesjoly hat in Moskau noch selbst mit Hašek über Literatur gestritten. Jahre später schämte er sich noch, weil er Hašek gegenüber die Klassiker allzu schnöde abgetan hatte.

In all diesen Bürgerkriegsromanen geht es nicht zuletzt um die Verwandlung des Partisanen in einen Soldaten neuen Typs. Der Witz besteht darin, wenn man so sagen darf, wie der Einzelne das Partisanische, Partikulare, also Lokalpatriotische überwindet, während beim Rekruten „Schwejk“ das Niederringen alles Soldatischen, Allgemeinen witzig ist. Hier geht es um die Zersetzung der alten Armee, dort um den Aufbau einen neuen – aus dem Stand quasi.

Ähnlich wie man mit der Sowjetunion und der Roten Armee Neues ausprobierte, wurde damals auch in der Literatur experimentiert. Zudem passierte jeden Tag so viel Absurdes, dass es jede herkömmliche Erzählweise sprengte. Das Problem der Bolschewiki bestand u. a. darin, die aus der Zerschlagung der Form hervorgegangenen bewaffneten Massen zu einer neuen Formation zu bewegen. Hierzu stellte man zunächst den autonomen Partisanenführern bolschewistische Kommissare an die Seite: nicht selten Schriftsteller, die nun zu Sängern ihrer Kommandeure wurden. Was wäre Tschapajew ohne Furmanow und Furmanow ohne Tschapajew gewesen? Ähnliches kann man auch über Isaac Babels Berichte über die Reiterarmee von Budjonny sagen.

Klaus Theweleit schreibt über die damals in Deutschland stattfindenden Kämpfe zwischen Roten und Weißen: „Erst im letzten Stadium des Bürgerkriegs, wo die Arbeiter schon geschlagen sind und die Befehlsstruktur der Truppe gelockert wird, wird er (der soldatische Freikorpsmann) selbst Masse. Auf diesen Moment seiner militärischen Befreiung steuert die ganze militärische Aktion zu.“

Wo die Arbeiter jedoch umgekehrt die (weißen) Soldatentruppen schlagen, müssen sie zuvor ihre spontanen Massenaktionen in organisierte Feldzüge verwandelt haben. Insofern ist das, was zur gleichen Zeit in Russland und in Deutschland passierte, fast seitenverkehrt – bis dahin, dass hier die rechten Freikorps nicht nur namentlich auf den partisanischen Widerstand gegen Napoleon genealogisch hinwiesen, sondern auch tatsächlich einen fast irregulären Status hatten. In der Sowjetunion galt dies am wenigsten für die Rote Armee – nahezu alle ihre Führer kamen aus der Illegalität.

Mit dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion dreht sich diese Geschichte noch einmal. Auch Dwingers Karriere nahm 1941 eine neue Kurve: Himmler ernannte ihn den SS-Obersturmbannführer zum Chefideologen des Ostfeldzugs – dann fiel er jedoch in Ungnade, als er sich für eine größere Autonomie der überrollten russischen Minderheiten einsetzte, weil er meinte, nur mit ihnen könne der jüdisch-russische Bolschewismus besiegt werden. Seine Frau konnte Dwinger deswegen nach dem Krieg als einen halben Widerständler hinstellen. Über das traurige Schicksal der von den Deutschen gegen die kommunistischen Partisanen eingesetzten Kosaken und des umgedrehten Generals Wlassow schrieb er zuletzt auch noch zwei dicke Romane – als Epitaphe.

Man könnte vielleicht sagen, dass Dwinger selbst den Bürgerkrieg sich nur als einen soldatischen Kampf vorstellte, während es bei Hašek genau umgekehrt war: Der Kampf gegen das Militär und alles Militärische ist ein Bürgerkrieg. Heute, da die meisten Staaten ihren Soldaten ein Leben als „Bürger in Uniform“ versprechen – ein Leben, nicht den Tod –, spiegelt sich der Gegensatz zwischen Partisanenkampf und Soldatentum zum einen in fortwährenden „Schwejkiaden“ und zum anderen in immer wiederkehrenden „Heydrichiaden“ wider.

Jaroslav Hašek: „Der Urschwejk. Und anderes aus dem alten Europa und dem neuen Russland“. DVA, München 1999. 393 Seiten, 22 €Ľ„Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk 1 und 2“. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2000. 802 Seiten, 14 €ĽEdwin Erich Dwinger: „Armee hinter Stacheldraht“. Kettmann, Wörlitz 1995. 210 Seiten, 13 €Ľ„Zwischen Weiß und Rot“. Stocker, Graz 2001. 404 Seiten, 21,80 €