Der Hausarzt lotst noch lange nicht

Die Patienten haben sich noch nicht an die Praxisgebühr gewöhnt, da reden manche Kassen die Abgabe bereits wieder fort – für Patienten, die vor dem Gang zum Experten den Hausarzt einschalten. Doch wann und wie so ein Modell kommt, ist unklar

von ULRIKE WINKELMANN

Mit dem Versprechen, die Praxisgebühr zu knicken, lässt sich gerade alles verkaufen. Das haben auch schon Einzelhändler im sauerländischen Grevenbrück gemerkt, die ihren Kunden jetzt Verrechnungsschecks für den Arztbesuch mitgeben. Auch mehrere große Krankenkassen erklärten am Wochenende in der Bild-Zeitung, sie würden Versicherten die Praxisgebühr erlassen, wenn sie sich in Hausarztmodelle einschrieben.

Aber wann? „Bis Ende Juni“, sagte zum Beispiel DAK-Sprecher Jörg Bodanowitz. Bis dahin werde seine Kasse ein neues Modell anbieten: Wer immer als Erstes seinen Hausarzt aufsucht, der muss die Praxisgebühr nicht zahlen. Herbert Rebscher dagegen, Vorstandsmitglied derselben Kasse, sagte zwei Tage später im Hamburger Abendblatt: „Wie und wann solche Modelle praxistauglich sind, ist derzeit noch völlig unklar.“ Klingt nicht nach Ende Juni.

Am Hausarztmodell hängt eine große Hoffnung der rot-grünen Gesundheitsreformer. Versicherte verpflichten sich dabei, sich zunächst von einem gut ausgebildeten Allgemeinmediziner kostengünstig behandeln zu lassen. Erst wenn der Hausarzt mit seinem Latein am Ende ist, überweist er an einen ausgewiesenen Facharzt, mit dem er idealerweise auch kommuniziert.

Die Krankenkasse überwacht das Modell und sucht geeignete Ärzte nach gesicherten Qualitätsstandards aus. Vermieden werden dadurch Ärztehopping, Doppeluntersuchungen, zielloses Herumpfuschen – kurz alles, was das deutsche System mit weltweit führenden 560 Millionen Arztkontakten im Jahr so ineffizient macht.

Die Befreiung von der Praxisgebühr birgt dabei einen doppelten Zielgruppenclou. Die Patienten, die tendenziell mehr ärztliche Anleitung brauchen, die Ärmeren also, werden mit dem wirksamsten Mittel zu mehr Disziplin bewogen: mehr Geld in der Tasche. Diejenigen dagegen, die tendenziell mehr Geld haben und auch sonst gerne Verantwortung für ihre Arztwahl übernehmen, bezahlen halt und verkraften das auch.

So weit die Idee. Sie findet sich auch als frommer Wunsch im Gesetz zur Gesundheitsreform wieder. „Hausarztmodelle haben für die Kassen eine weit interessantere Lenkungswirkung als andere Bonusmodelle“, sagt die Sprecherin der Kaufmännischen Krankenkasse KKH, Annette Rogalla. Doch diese Steuerungswirkung funktioniere nur, „wenn die Ärzte merken, wann sie mit ihrem Latein am Ende sind, und einen Patienten loslassen können“. Genau darauf, wie ein solches „Lotsenpatent“ für einen Hausarzt aussehen könnte, müssen sich Ärzte und Kassen noch einigen.

Das bedeutet jedoch, dass die Kassen den Ärzten Qualitätsstandards abringen müssen, dass weiterhin die Hausarztlobby gegen die mächtige Facharztlobby ausgespielt werden muss, und dass überdies ein medizinisches Traditionsgut auf dem Spiel steht: die freie Arztwahl.

Außerdem gilt es, die bisherigen Erfahrungen mit „hausarztzentrierter Versorgung“ erst einmal auszuwerten. Eine Studie im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung legte im November leise Zweifel nahe: Bisherige Experimente in Deutschland seien wenig erfolgreich gewesen, so das Team um den Gesundheitsökonomen Jürgen Wasem. Die Zahlen einer großen Privatversicherung zeigten zwar, dass hausarztgelotste Patienten unterdurchschnittliche Kosten verursachten. Ob das aber für die kränkere und ärmere Klientel der gesetzlichen Kassen gelte, sei fraglich. Auch das so oft gelobte Modell in den Niederlanden erweist sich nach der Böckler-Studie als mängelbehaftet. Grund für die geringe Verbreitung der Modelle ist laut Wasem & Co „Skepsis bei Versicherten, Krankenkassen und Ärzten“. Man müsse schon alle Beteiligten mit Belohnungen locken – die Versicherten etwa mit Bonuszahlungen.

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