Feuer marsch!

AUS FRANKFURT (ODER) BARBARA BOLLWAHN

In einer lauen Sommernacht im August vergangenen Jahres läuft Sven B. durch Berkenbrück. Berkenbrück ist ein Dorf mit nicht ganz Tausend Einwohnern, 60 Kilometer südöstlich von Berlin. Der Europawanderweg führt durch den Ort und etwas außerhalb, im Waldrevier Beerenbusch, gibt es einen Erlebnispfad. Idylle, in der tags nicht viel los ist und nachts gar nichts. Sven B. läuft durch die Dunkelheit, ohne Ziel. Gegen 1.30 Uhr kommt er an ein Grundstück, steigt über den Zaun und zündet einen Stofffetzen an. Mit dem setzt er einen Schuppen in Brand. Plötzlich bellt ein Hund. Sven B. läuft weg und legt sich zu Hause ins Bett.

Am nächsten Morgen wird er festgenommen. Die Grundstücksbesitzerin hat ihn erkannt, nachdem ihr Hund Alarm geschlagen hatte. Tapsi, der Spitz, wird von der Polizei belohnt. Mit einem Kilo bestem Schweinefleisch. Denn an diesem 9. August 2003 endet eine Brandserie, die Berckenbrück zweieinhalb Jahre in Atem hielt. Seit dem 2. Januar 2001 hatte es sechsundzwanzig Mal gebrannt – im Ort und im nahe gelegenen Wald. Mehrere zehntausend Quadratmeter Kiefern und Birken, diverse Bungalows, Schuppen, Ställe, Lastkraftwagen und ein Auto waren in Flammen aufgegangen. Menschen wurden nicht verletzt. Der materielle Schaden beträgt mehr als 100.000 Euro.

Die Festnahme von Sven B. war keine große Überraschung in Berkenbrück, eher die Bestätigung eines schlimmen Verdachts. Im Laufe der Ermittlungen war der Siebenundzwanzigjährige öfter verdächtigt worden. Nur fehlte der Beweis. Auffällig oft war er, kaum dass die Feuerwehrsirene ertönte, am Brandort erschienen. Zum Löschen.

Sven B. ist Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Berkenbrück, die knapp 30 Mitglieder hat. Mit 16 Jahren trat er ein, machte eine Ausbildung zum Gerätewart, einen Lehrgang zum Truppführer, brachte es schließlich bis zum Jugendwart und Einsatzleiter.

Sven B. ist nicht der erste Feuerwehrmann, der selbst Brände legt, um sie dann zu löschen. Er ist kein seltenes Phänomen. Neben Versicherungsbetrügern, psychisch kranken oder politisch motivierten Tätern legen die meisten Brandstifter ihr Feuer aus Frust oder Rache. Auffällig viele von ihnen sind bei der Freiwilligen Feuerwehr. Im Schützen- oder Gesangsverein ist es nicht möglich, persönliche Probleme oder die Suche nach Bestätigung mit Straftaten zu kompensieren, bei denen man den Retter spielen kann. Bei der Freiwilligen Feuerwehr schon.

Der Kommissar sucht ein Profil

2002 wurden deutschlandweit fast 26.000 Brandstiftungen erfasst – die Hälfte vorsätzlich verübt, die anderen aus Fahrlässigkeit passiert, beim Rauchen im Bett oder falschem Umgang mit Kerzen. Die Aufklärungsquote dieser Brände ist weit höher als die vorsätzlicher Brandstiftungen. Doch das soll sich ändern. Mit einer Brandstifter-Datenbank. Nachdem es in Berkenbrück im Juni vergangenen Jahres bereits 19 unaufgeklärte Brände gab, begann Harry Jäkel sich dafür zu interessieren. Der Kriminaloberkommissar wertete die Ermittlungsakten aus und erstellte ein Täterprofil: Der Brandstifter sei ungefähr 24 Jahre alt und wohne in Berkenbrück. Mit 66-prozentiger Sicherheit handele es sich um einen Einzeltäter, der Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr sei und bei einem Teil seiner Taten unter Alkoholeinfluss gestanden habe. Als Sven B. festgenommen wurde, zeigte sich, dass Jäkel richtig lag. Es war der erste Praxistest des Projektes „Täterprofil von Brandstiftern“ (siehe Kasten).

In Handschellen wird Sven B. in den Gerichtssaal geführt. Er ist gut 1,80 Meter groß und wiegt um die 90 Kilo. Mit seinen Koteletten, den kurzen, blonden Haaren und dem Kinnbart sieht er aus wie Stefan Raab. Nur das Grinsen fehlt. Bevor er sich neben seinen Anwalt setzt, werden ihm die Handschellen abgenommen. Er ist aufgeregt, die Ohren glühen. Das war vergangene Woche beim Prozessauftakt vor dem Landgericht Frankfurt (Oder).

Im Mittelalter, so belegen die ersten deutschen Quellen über Brandstiftung, drohte „boßhafftigen“ Brandstiftern die Todesstrafe durch Rädern, Enthaupten oder Verbrennen. Sven B. war erst einmal in Untersuchungshaft gekommen. Nach dem Strafgesetzbuch, in dem schwere Brandstiftung als gemeingefährliche Straftat gilt, erwarten ihn ein bis zehn Jahre Gefängnis.

Gleich zu Beginn legt er ein umfassendes Geständnis ab, so dass das Gericht auf die Anhörung der geplanten 86 Zeugen verzichtet. Brand für Brand geht der Richter mit dem Angeklagten durch. Mit fester Stimme und wechselnder Wortwahl gibt Sven B. das immer Gleiche zu: „Dit ist so gewesen.“ „Das war ich och gewesen.“ „Das och, ja.“ Und weil die Liste der Brände so lang ist, beschränkt er sich am Ende auf das Wörtchen „och“.

Ohne dass der Richter ihn fragt, versucht er, sich zu erklären. So richtig will ihm das nicht gelingen. „Warum, weshalb, das hab ich alles ein bisschen verdrängt“, sagt er. Oder: „Da hatte ich anständig einen genuscht gehabt, also getrunken.“ „Ich bin mit dem Fahrrad rumgefahren, da kam mir das in den Kopf.“ Kurz vor Brand Nummer 18 – Sven B. zündete mit Brennspiritus einen Lkw an – fragten ihn misstrauisch gewordene Feuerwehrkameraden, ob er schon wisse, wo es beim nächsten Mal brennt. Und ein Polizeibeamter sagte ihm direkt ins Gesicht, er glaube, dass er der Täter sei.

„Das wuchs mir langsam über den Kopf. Ich hatte etwas Angst vor mir“, sagt Sven B. Aber aufhören konnte er auch nicht. Stattdessen schnitt er sich die Pulsadern auf. Es war nicht das erste Mal. „Diesmal sollte es endgültig sein.“ Doch die Schnitte waren nicht tief. Am nächsten Morgen wachte er auf und das Blut war getrocknet.

Nun will der Richter doch etwas genauer wissen, warum der Angeklagte die Brände gelegt hat. Sven B. faltet die Hände. So stark, dass die Fingerspitzen rot anlaufen. „Am Anfang wegen der Kameradschaft und dem Zusammensitzen danach“, sagt er. „Und ich hatte reichlich persönliche Probleme.“ Kaum Freunde, die Lehre als Zimmermann nur knapp geschafft. Mal ging er auf Montage, mal besorgte der Vater ihm einen Job, dann arbeitete er als Kraftfahrer. Entweder gefiel ihm die Arbeit nicht, oder die Firma ging Pleite. Mit Geld kam er nicht klar, seine Wohnung glich einer Müllhalde, er zahlte die Miete nicht, flog raus und zog zurück in sein Kinderzimmer. Mit dem Vater kam er nicht klar, und die Eltern seiner wesentlich jüngeren Freundin erlaubten ihm nicht, bei ihr zu übernachten. Betrunken setzte er seinen Trabant gegen einen Baum. „Es gab immer Frust“, sagt Sven B.

Jedes zweite Wort war Feuerwehr

Nur bei der Freiwilligen Feuerwehr war für Sven B. die Welt in Ordnung. Da wusste er Bescheid, da wurde er gebraucht, da konnte er Erfahrungen weitergeben. Die Feuerwehr war nicht nur einfach Hobby. Sie war sein Leben. „Jedes zweite oder dritte Wort zu Hause war Feuerwehr“, sagt er. Als Gruppenführer habe er Verantwortung getragen. Mit leiser Stimme fügt er hinzu: „Ich war halt wer bei der Feuerwehr.“ Erst durch Gespräche mit einer Psychologin im Gefängnis sei ihm das klar geworden.

Das Gericht hat einen Psychiater bestellt. Er soll prüfen, ob Sven B. schuldfähig ist. Er bescheinigt dem Angeklagten einen Intelligenzquotienten von 110, das liegt im oberen Bereich der Norm. Gleich am Anfang seines Vortrages erwähnt er, dass die Familie des Angeklagten früher „in einem Objekt der Staatssicherheit“ wohnte. Der Vater war Offizier der Nationalen Volksarmee und bei der Staatssicherheit. „Das spielte eine Rolle“, sagt der Gutachter. Weil das in der Schule bekannt gewesen sei, sei Sven B. zum Außenseiter geworden – introvertiert und unsicher. Nur bei der Feuerwehr habe er Bestätigung gefunden, sogar „einen Familienersatz“. Als die Staatsanwältin wissen will, ob Sven B. wieder Brände legen wird, sagt der Gutachter: „Ich kann das nicht ausschließen. Aber ich halte ihn für intelligent genug, sich professionelle Hilfe zu suchen.“

Nicht wie die anderen Kinder

Die Familie steht hinter Sven B. Zumindest die Mutter und eine der beiden jüngeren Schwestern, die zur Verhandlung erschienen sind. Der Mutter, eine Kindergärtnerin, fällt die Aussage schwer. Die korpulente Frau mit den dunkelrot gefärbten Haaren will ihren Sohn nicht belasten. Mit 18 hat sie ihn bekommen. „Unser Junge war immer auffällig“, sagt sie. „Nicht wie jedes andere Kind, das ich im Kindergarten habe.“ Hyperaktiv sei er gewesen, ohne Ausdauer. Der Vater hatte ihn schon aufgegeben. Alle Versuche, etwas für ihn zu finden, seien fehlgeschlagen. Darum fand sie es ja auch „recht gut“, dass ihr Sohn bei der Feuerwehr eintrat – und dabei blieb.

Irgendwann wurde es auch der Mutter zu viel. „Er redete nur von der Feuerwehr und der Kameradschaft.“ Sie wollte, dass er austritt. „Ich weiß nicht, wie lange man ein Kind bemuttern muss, bis es selbstständig ist“, sagt sie. Sie wisse nur, dass er jederzeit zurückkommen kann. „Ich bin die Mutter. Ich kann ihn nicht fallen lassen.“

Sie wird einige Zeit auf ihren Sohn warten müssen. Gestern verurteilte das Gericht den Feuerwehrmann Sven B. zu vier Jahren Haft. Der Richter hat ihm das umfassende Geständnis zu Gute gehalten. Ohne das wäre die Brandserie nicht aufgeklärt worden.