Eine richtig zähe Maria Magdalena

Andreas Studnitz inszeniert am Essener Grillo-Theater Friedrich Hebbel‘s Bürgerdrama aus dem vorletzten Jahrhundert. Das Publikum war trotz stockendem Theaterapparat merkwürdigerweise zufrieden

Der Weg ins Jenseits führt eine Treppe hoch. An deren Fuße angelangt, sind die Menschen in Friedrich Hebbels bürgerlichem Trauerspiel „Maria Magdalena“ aber schon völlig ermattet und zum Sterben bereit. Und dann: Stufen, Anstrengung, Sterbesport. Ein hässlicher Tod.

Mächtig reckt sich diese Treppe auf der Bühne des Essener Grillo-Theaters in die Höhe und dominiert das spartanische Ganze. Ein treffliches Bild für die bürgerliche Tristesse, die Hebbel in seiner „Maria Magdalena“ im 19. Jahrhundert konservierte. Das Thema ist immer noch aktuell. Bis auf jenes unehelich gezeugte Kind, das Tischlertochter Klara in sich trägt. Damals wurde das Stück deswegen von der Kritik zerrissen und vorerst nicht mehr gespielt. Heute schockt das keinen mehr. Vielmehr interessiert das ungeschminkte Porträt einer Familie, deren Werte und Normen zur Geißel mutieren.

Sohn Karl ist angeblich ein Dieb. Solche Spekulationen reichen schon aus, Schande über seine Sippe und das Bürgertum ins Wanken zu bringen. Eigentlich müsste der Zuschauer dabei ordentlich schaudern. Nicht aber in Essen. Regisseur Andreas von Studnitz hat das Stück auf anderthalb Stunden gekürzt – eindringlicher ist es dadurch nicht geworden. Von Beginn an liegen Tod und Intrige so bleiern über den Szenen, dass der Theaterapparat arg ins Stocken gerät. Charis Nass spielt die Klara wie eingefroren. Wenn sie an der Rampe steht und starr in den Raum blickt, stößt sie Sätze aus, die nicht ihre sind. Ihren Kollegen geht es ähnlich.

Die einzigen, die sich dem ferngelenkten Geschehen entziehen können, sind Hannes Fischer als Meister Anton und Maximilian Giermann in der Rolle des Leonhard. Fischer verleiht Klaras Vater etwas notwendig Widerwärtiges, nicht zuletzt durch sein Äußeres. Und Giermann ist ein herrlicher Schlacks, ein junger Liebhaber mit postpubertären Zügen.

Dass der Applaus hinterher recht kräftig war, mag zeigen, dass eine „Maria Magdalena“, wie sie von Studnitz zeigt, dem Essener Publikum schon genügt.

BORIS R. ROSENKRANZ

Karten: 0201-81220