Alles ziemlich lässig hier

Schweizer Freudentag bei den Australian Open: Erst zieht Patty Schnyder ins Halbfinale ein, danach auch Roger Federer, der seinen früheren Angstgegner David Nalbandian auf adrette Art bezwingt

AUS MELBOURNE DORIS HENKEL

Dem einen rann der Schweiß in Strömen aus den Haaren durch das Hemd, durch die Hose über die Beine in Socken und Schuhe, der andere sah selbst nach zweieinhalb Stunden so aus, als käme er bloß von einem Ausflug am Yarra River zurück. Bis jetzt hat sich bei den Australian Open in Melbourne noch keiner gefunden, der Roger Federers Spiel, Moral oder Aufmachung hätte durcheinander bringen können. Wie der letzte Samurai pirscht der durch die Stadt, spürt die Leute auf, mit denen er noch eine Rechnung offen hat, und ritzt hinterher die nächste Kerbe in den Griff seines Schlägers.

Dem imponierenden Sieg gegen Lleyton Hewitt folgte gestern im Viertelfinale ein imposanter Auftritt gegen David Nalbandian (7:5, 6:4, 5:7, 6:3), aber die Pirsch ist noch lange nicht zu Ende. Damit es ihm nicht langweilig wird, darf Federer im Halbfinale am Freitag gegen den Spanier Juan Carlos Ferrero auch um die Nummer eins im Revier spielen, und das, so hat er vor ein paar Tagen verraten, ist ihm neben dem Titelgewinn eine besondere Motivation.

Gewinnt er gegen Ferrero, ist er die Nummer eins, verliert er, muss der Spanier das Turnier gewinnen, um wieder nominell der Beste zu sein. Andy Roddick hatte die Führung am Tag zuvor mit seiner Niederlage gegen Marat Safin verloren. Aber Federer sagt, darüber zerbreche er sich jetzt nicht den Kopf. „Das Turnier ist mir wichtig, der Titel. Ich konzentriere mich auf das nächste Spiel, und wenn die Leistung stimmt, kann es sein, dass ich in zwei Tagen so weit bin.“

Nachdem mit dem ersten Sieg gegen Nalbandian vor zwei Monaten beim Masters Cup in Houston nach fünf Niederlagen der Bann gebrochen war, geht der Wimbledonsieger nun offensichtlich mit einem anderen Grundgefühl in die Begegnungen mit dem unerbittlichen Argentinier. Er weiß, dass er nicht zu viel riskieren darf, er weiß auch, dass er hinnehmen muss, gelegentlich in die grandiosen Konter des anderen zu laufen. Auch diesmal erwischte ihn Nalbandian diverse Male kalt, aber hinterher meinte Federer bloß, darüber rege er sich schon gar nicht mehr auf. Obwohl er sich fast doppelt so viele unerzwungene Fehler leistete wie Nalbandian (55:30), war er immer wieder im Vorteil, weil er diesen Nachteil mit der Zahl der Gewinnschläge ausglich (50:26). Was zeigt, dass der Mann mit dem größeren Hang zum Risiko gewann.

Entscheidend für den Sieg war sicher ein besonderes Kunststück nach der Methode des guten alten Pete Sampras. Als Nalbandian beim Stand von 5:5 im ersten Satz bei Federers Aufschlag zwei Breakbälle hatte, wehrte der beide mit Assen ab, legte ein drittes zum Vorteil nach, und mit dem vierten in Serie räumte er ab. „Das war sicher der Schlüssel zum Erfolg“, sagte er hinterher, „die Asse haben mir sehr aus der Patsche geholfen.“

Das blieb so bis zum Schluss. Mit dem letzten und 20. Ass der Partie beim Matchball ritzte er die nächste Kerbe ein, aber es ist schon noch Platz am Griff des Schlägers. Freitagabend wird Federer zum dritten Mal in Folge unter Flutlicht in der Rod-Laver-Arena erwartet, und mittlerweile hat er dort offensichtlich sogar die Elemente im Griff. Im Spiel gegen Nalbandian tröpfelte es immer wieder mal, aber erst fünf Minuten nach dem Matchball öffnete der Himmel seine Schleusen. Ob das heißen soll, dass der Segen von ganz oben kommt?

So oder so sind es historische Tage für die Schweiz. Federer nur ein paar Schritte unterhalb des Gipfels der Tenniswelt, zum zweiten Mal nach Wimbledon für das Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers qualifiziert. Und Patty Schnyder, die wie er aus Basel stammt, trifft nach ihrem souveränen Sieg gegen Lisa Raymond (7:6, 6:3) im Halbfinale der Frauen auf die Belgierin Kim Clijsters. Diese Kombination hat es selbst in den besten Tagen einer Martina Hingis nicht gegeben. Federer fasste das nationale Gefühl dieser Tage in Melbourne mit den Worten zusammen: „Das ist schon sehr lässig.“ Oder wie der Schweizer in seinem bekannt verqueren Idiom normalerweise sagt: isch lässig gsi.