Formelkompromisse statt politischem Willen

Schlussdokument der Stockholmer Völkermord-Konferenz lässt den internationalen Strafgerichtshof unerwähnt

STOCKHOLM taz ■ „Alle Mörder müssen wissen, dass sie bestraft werden.“ Ein Satz, für den Kanadas Justizminister Irwin Cotler uneingeschränkten Beifall erhielt, und ein Punkt, auf den sich alle 58 Teilnehmerstaaten der Stockholmer Konferenz zur Vermeidung von Völkermord einigen konnten. Grundsätzlich.

Was das Schlussdokument der gestern zu Ende gegangen dreitägigen Konferenz angeht, reichte diese Einigkeit aber nicht, in diesem Zusammenhang auch den internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zu erwähnen. Hiergegen wehrten sich erfolgreich die USA und Israel. Dabei hatte UN-Generalsekretär Kofi Annan in seiner Eröffnungsrede gerade den IStGH mit seiner „innersten Hoffnung“ verbunden, „dass er potenzielle zukünftige Täter abschrecken“ könne. Was die Vermeidung von Völker- und Massenmord angeht, blieb Annans Modell einer neuen UN-Kommission und eines speziellen Berichterstatters der konkreteste Vorschlag für die Zukunft.

Die meisten Teilnehmerländer verstanden die Konferenz eher als Forum, eigene Fragen zum Thema zu stellen und sich gegen unangenehme zu sperren. So sprach Russlands Delegierter über die globale Terrorgefahr, erwähnte aber nicht den Krieg in Tschetschenien. Israels Jehuda Bauer warnte vor einem sich immer mehr radikalisierenden Islamismus. Und Lettlands Präsidentin wollte primär die kommunistischen Verbrechen in Osteuropa thematisieren. Nur selten wurde diese Nabelschau gestört. So durch Bernard Kouchner, Gründer von „Ärzte ohne Grenzen“, der den PolitikerInnen schlicht fehlenden politischen Willen vorwarf, Völkermord wirklich zu stoppen.

Im Januar 2000 hatte Schwedens Premier Göran Persson das viel beachtete erste Stockholmer Holocaust-Forum eröffnet. Die Nachfolgekonferenzen verloren mehr und mehr an Interesse, einmal musste ein Forum mangels Teilnehmerinteresse um ein halbes Jahr verschoben werden.

Angesichts der Anlage der jetzigen und letzten Konferenz, eine schnellere Reaktion von Regierungen und Diplomatie auf drohenden Völkermord oder massenhaften Verstoß gegen Menschenrechte zu debattieren, glaubte Noam Chomsky in seinem Grußwort auf einer Alternativkonferenz schon am Sonntag eine Voraussage machen zu können. Sie werde enden „in Lügen und Plattitüden“. Diese Alternativkonferenz unter dem Motto „Eine andere Stimme – Konferenz zu Völkermord, Terror und Menschenrechten“ versuchte ansatzweise das Versäumnis auszugleichen, das man der Regierungskonferenz vorwarf: Täter, aber nicht Opfer zu Wort kommen lassen. So ließ sich Bosnien-Herzegowina in Stockholm mit Dejan Miletić gar von einem Delegierten vertreten, der als Direktor des umstrittenen Kooperationsbüros der bosnischen Teilrepublik Srpska den Massenmord an 7.294 in Srebrenica Ermordeten geleugnet hatte.

Unter den in Stockholm anwesenden WissenschaftlerInnen zum Thema Völkermord erregte Samantha Power Aufmerksamkeit, die in einem vor zwei Jahren erschienenen Buch nachgewiesen hatte, wie die USA in der Vergangenheit durch ihre Weigerung, vorhandene Informationen zu veröffentlichen, oder das Fordern weiterer „Beweise“ immer wieder ein rechtzeitiges Eingreifen verhindert hätten. Ihre Warnung vor neuen Massenmorden primär in afrikanischen Ländern verband sie mit der pessimistischen Feststellung: „Wir sind kein Stück besser darauf vorbereitet.“ REINHARD WOLFF