Angst vor dem linksrheinischen Kapitalismus

Politik und Betriebsräte warnen vor Jobabbau und Verlust von Forschungskapazität bei einer Übernahme von Aventis

FRANKFURT/M. taz ■ Die Apologeten der ganz freien Marktwirtschaft schreien jetzt Zeter und Mordio: „Die Arbeitsplätze bei Aventis müssen erhalten bleiben!“, forderte gestern etwa der Fraktionsvorsitzende der CDU im Hessischen Landtag, Franz Josef Jung, mit Blick auf die „drohende“ feindliche Übernahme der deutsch-französischen Pharmafirma Aventis durch den französischen Pharmagiganten Sanofi-Synthélabo. Der hessische Ministerpräsident Roland Koch, ansonsten ein großer Freund des freien Wirtschaftens weltweit, hatte „die Franzosen“ schon am Abend zuvor davor gewarnt, die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Aventis in den „Zukunftsbereichen“ Bio- und Gentechnologie nach Frankreich zu verlagern oder auszudünnen. Bisher sind diese Abteilungen in Frankfurt am Main, in Bad Soden und in Marburg angesiedelt. Gingen diese Strukturen nach einer Übernahme verloren, stünde eine in Deutschland einmalige Forschungslandschaft zur Disposition. Jung und Koch forderten von der rot-grünen Bundesregierung, sie müsse eingreifen und in Paris intervenieren. Schließlich werde Sanofi-Synthélabo bei seinen Bestrebungen, die vor drei Jahren aus der Fusion der Hoechst AG mit dem französischen Pharmaunternehmen Rhône-Poulenc entstandene Firma Aventis zu schlucken, offenbar von der französischen Administration in Paris unterstützt.

Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement ließ sich nicht lange bitten. Der Sozialdemokrat warnte Sanofi-Synthélabo „eindringlich“ vor einem einseitigen Arbeitsplatzabbau in Deutschland nach einer eventuellen Übernahme von Aventis. Die in Hessen betriebene pharmazeutische Forschung von Aventis sei nämlich von „herausragender Bedeutung für den Standort Deutschland“. Ob das die Franzosen beeindrucken wird? Mit dem Kanzler habe er jedenfalls auch gesprochen, ließ Clement wissen: „Jeder tut das aus seiner Sicht Erforderliche.“ Allerdings dementierte ein Regierungssprecher gestern Meldungen, dass Gerhard Schröder schon dabei sei, für Aventis einen „weißen Ritter“ zu besorgen. Von einem unbeteiligten Dritten, so die Spekulationen, könnte Aventis vor allem mit einer gewaltigen Finanzspritze oder einem Angebot auf Zusammenarbeit bei der Abwehr einer feindlichen Übernahme unterstützt werden.

Noch haben „die Franzosen“ ihr Angebot an die Aktionäre von Aventis nicht erhöht. Bisher bieten sie den Aktionären einen Aufschlag von 3,6 Prozent pro Aktie. Deshalb ziehen Vorstand, Aufsichtsrat und Betriebsrat weiter an einem Strang. Die Offerte sei „nicht im besten Sinn der Aktionäre“, so der Vorstand. Auch Jürgen Dormann, Vorsitzender des Aufsichtsrates von Aventis, will dem Aufsichtsrat empfehlen, das Übernahmeangebot abzulehnen. Die Betriebsräte der Aventis Pharma Deutschland GmbH warfen Sanofi-Synthélabo vor, sich mit der Übernahme auf Kosten der Arbeitsplätze in Deutschland sanieren zu wollen. Der Konzern habe erhebliche Patentprobleme, die Rettung solle Aventis mit seiner „gut gefüllten Pipeline“ bringen. Sanofi habe den Synergieeffekt bei einer Übernahme mit 1,6 Milliarden Euro beziffert. „Das genau“, sagen die Betriebsräte, „sind unsere Arbeitsplätze.“

KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT