Europa zittert schon

Nach dem 3:1-Sieg über neun Schalker kann der Hamburger SV ans internationale Geschäft denken. Derweil denkt Schalke-Coach Frank Neubarth daran, mit der Faust auf den Tisch zu hauen

aus Hamburg RENÉ MARTENS

Wer als Werbetexter oder Modedesigner arbeitet und seinen 40. Geburtstag hinter sich hat, kann froh sein, wenn ihn die Kollegen mit Ratschlägen für den baldigen Vorruhestand verschonen. Übt man dagegen die wirklich bedeutenden Jobs aus – sagen wir mal: Minister oder Bundesligatrainer – hat man das Pech, in diesem Alter noch als junger Hüpfer zu gelten. Schalkes Trainer Frank Neubarth, geboren am 23. Juli 1962 in Hamburg, scheint das mittlerweile gar nicht mehr infrage stellen zu wollen, dafür spricht jedenfalls eine Antwort, die er sich am Sonnabend entlocken ließ, nachdem sein Team ausgerechnet in seiner Heimatstadt mit 1:3 verloren hatte.

Ob er als „junger Trainer“ nun nicht mal „auf den Tisch hauen“ müsse, wollte eine Person wissen, die ungefähr in Neubarths Alter war. Da rügte der gebeutelte Coach keineswegs den abwertenden Gebrauch des Adjektivs, sondern versuchte bloß, ein diabolisches Grinsen anzudeuten: „Ich haue schon auf den Tisch, da können Sie ganz beruhigt sein. Aber ich tue es nicht in der Öffentlichkeit.“ Immerhin gab der sonst so verschlossene Lulatsch preis, dass er „stocksauer“ sei, außerdem drohte er „Konsequenzen“ an für Christian Poulsen und Anibal Matellan, die in der 71. und 84. Minute die Gelb-Rote respektive Rote Karte gesehen hatten und somit hauptverantwortlich waren für die 1:3-Niederlage beim Hamburger SV. Der Däne hatte beim Kampf um einen Kopfball Tomas Ujfalusi zu Boden geschickt, der Argentinier sich vom rustikal einsteigenden Erik Meijer zu einer Tätlichkeit provozieren lassen. So schossen Naohiro Takahara und Bernardo Romeo den HSV in den letzten fünf Minuten fast zwangsläufig noch zum Sieg.

Was den Tonfall betrifft, konnte Neubarth in Hamburg mit seinem Manager Rudi Assauer mithalten, der konstatierte, die Sünder hätten dem „Verein sehr großen Schaden zugefügt“. Und weil der Trainer, dieses Mal keinen Missfallenskundgebungen der eigenen Fans ausgesetzt, ausnahmsweise mal in Fahrt war, steigerte er sich sogar in einen Ausspruch, der für seine Verhältnisse einem Vulkanausbruch gleichkam: „Der Hollerbach tritt da auf der linken Seite wie ein wildgewordener Handfeger durch die Gegend.“ Sein Ärger über das Auftreten des Hamburger Mittelfeldspielers war einerseits verständlich, denn Poulsen hatte seine zweite gelbe Karte für eine Tat gesehen, die einer von Hollerbach an Gustavo Varela 20 Minuten vorher stark ähnelte, verwarnt worden war der Hitzkopf der Gastgeber dafür freilich nicht. Neubarths Gemecker mutete andererseits auch ein bisschen weltfremd an: Wie ein „wild gewordener Handfeger“ – um mal bei diesem nicht hundertprozentig gelungenen Bild zu bleiben –, spielt Bernd Hollerbach seit jeher, und dabei hat er stets von einem höchst liberalen Strafvollzug profitiert.

Die 55.000 Zuschauer in der ausverkauften Arena am Volkspark waren sowieso froh gewesen, dass da einer wie Hollerbach auf dem Feld stand. Oder einer wie Frank Rost, der die allgemeine Schalker Gereiztheit der letzten Wochen dokumentierte, indem er zweimal aus dem Tor rannte, um sich an gar nicht mal so dringlichen Diskussionen zu beteiligen. Immerhin fanden die beiden nominellen Spitzenteams so wenigstens über die Hektik zur Unterhaltung. In der ersten Halbzeit hatten sie bestenfalls gepflegte Langeweile produziert, wobei Schalke, obwohl ohne sechs verletzte oder gesperrte Stammspieler angetreten, sogar noch den etwas besseren Eindruck hinterließ. Das Führungstor – ein Kunststück Romeos nach Freistoß und Kopfballverlängerung –fiel, wie selbst HSV-Trainer Kurt Jara zugeben musste, „aus heiterem Himmel“.

Den Sieg hatte seine Truppe eigentlich nicht verdient. Fast schon provozierend defensiv ließ der Österreicher seine Untergebenen agieren, vor allem auf den Flügeln passierte nichts – abgesehen von der Anfangsphase der zweiten Halbzeit sowie den letzten sieben Minuten, als nur noch neun Gegner auf dem Platz standen. „Europa zittert schon“, stand auf einem Transparent, das HSV-Fans vor dem Spiel entrollt, aber auch schnell wieder entfernt hatten. Ihnen ist möglicherweise noch rechtzeitig aufgefallen, dass man den Satz auch ironisch verstehen könnte.

Hamburger SV: Pieckenhagen - Jacobsen, Hoogma, Ujfalusi, Hollerbach (90. Wicky) - Benjamin (81. Meijer), Cardoso (61. Takahara), Maltritz - Mahdavikia, Romeo, BarbarezFC Schalke 04: Rost - Varela, van Hoogdalem, Waldoch, Poulsen - Kmetsch (88. Wilmots), Matellan - Asamoah, Vermant, Böhme - SandZuschauer: 55.000; Tore: 1:0 Romeo (29.), 1:1 van Hoogdalem (57.), 2:1 Takahara (86.), 3:1 Romeo (90.)Gelb-Rote Karte: Poulsen (71./wiederholtes Foulspiel); Rote Karte: Matellan (86./grobes Foulspiel)