Zivilgesellschaftlicher Gegenwind

„Kommunal Verantwortliche müssen auch Vorbild sein“, sagt Uta Leichsenring. Die ehemalige Polizeipräsidentin von Eberswalde, nördlich von Berlin, ist Mitbegründerin des dortigen Netzwerks gegen Fremdenfeindlichkeit

taz: Hat der Mord an Antonio Amadeu Eberswalde geprägt?

Uta Leichsenring: Mit Sicherheit. Eberswalde hat bis heute die Schwierigkeit, von diesem Image wegzukommen, als rechte Hochburg zu gelten.

War das Image nicht berechtigt?

Wir haben ein Problem des Rechtsextremismus. Aber wir müssen diese Szene differenziert betrachten. Hier haben und hatten wir es mit einer eher lose strukturierten Jugendszene zu tun und weniger mit einer politischen Szene, wie sie viel stärker in den alten Bundesländern existiert.

An Gewaltstrafttaten mit rechtsradikalem Hintergrund hat Eberswalde eine ganze Menge zu verzeichnen. Warum ist gerade dort die Gewaltbereitschaft so groß?

Auch das kann man nicht nur auf Eberswalde beziehen. Sicherlich ist ein Grund dafür die hochgradige Verunsicherung der Menschen, gerade in den ländlichen Gebieten. Und diese Verunsicherung potenziert sich noch mal bei den Jugendlichen, weil Jugendliche viel schneller und eher bereit sind, sich Luft zu machen, als Erwachsene. Und Luft machen heißt in diesem Fall, Frust ablassen, diffuse Ängste weitergeben. Und nach einfachen Erklärungsmustern suchen, wie sie etwa das rechtsextremistische Propagandamaterial liefert.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Engagement der Bürger in Toleranzprojekten und dem Rückgang der Gewalt in Eberswalde?

Eberswalde ist ein Beispiel dafür, wie sich die Atmosphäre verändert, wenn es so etwas wie einen zivilgesellschaftlichen Gegenwind gibt. Der war Anfang der 90er-Jahre so gut wie gar nicht da. Die Anteilnahme an dem, was mit Antonio Amadeu passiert ist, war nicht sehr groß. Das ist heute anders. Seitdem sind es immer mehr geworden, die sich zivilgesellschaftlich engagieren.

Und das hat die Rechtsradikalen von der Straße vertrieben?

Ja, dieser zivilgesellschaftliche Gegenwind hat eine Wirkung. Das zeigt sich unter anderem auch darin, dass es nicht gelungen ist, rechtsextreme politische Strukturen aufzubauen. Auch das konsequentere Vorgehen von Polizei und Justiz hat daran großen Anteil.

Sie haben sich ja schon sehr früh gegen Fremdenfeinlichkeit engagiert. Welchen Stand hatten Sie als Polizeipräsidentin mit dieser Haltung?

In einer Institution wie der Polizei spielt die Vorbildrolle der Führung eine ganz große Rolle. Was die Strukturen anbelangt, die wir aufgebaut haben im Kampf gegen Rechtsextremismus, da haben die Kollegen und vor allem auch die mittlere Führung mitgezogen. Anfang der Neunzigerjahre wurde das Gewaltpotenzial, kombiniert mit rechtsextremistischen Einstellungen, einfach unterschätzt. Was da auf uns zukam, ist erst langsam deutlich geworden. Das hat sich nach dem Mord an Amadeu Antonio aber schnell geändert.

Inwieweit können kommunal Verantwortliche auf das öffentliche Meinungsbild Einfluss nehmen?

Die Vorbildfunktion fängt an beim ehrenamtlichen Bürgermeister und endet beim Politiker im höchsten staatlichen Amt. Die hat man, ob man will oder nicht. Was Menschen in Führungsfunktionen zu bestimmten Problemen denken und wie sie sich dazu äußern, das wirkt auf die Bevölkerung. Da haben wir doch genug Beispiele aus der Vergangenheit.

Diese Einsicht scheint aber in vielen Kommunen noch nicht durchgesickert zu sein.

Das Problembewusstsein ist mit den Jahren gewachsen. Auch das Bewusstsein, dass kommunal Verantwortliche eine Vorbildfunktion haben. Da, wo sich die kommunal Verantwortlichen dann auch stärker engagiert haben, sowohl zivilgesellschaftlich als auch institutionell, hat die rechte Szene an Bedeutung verloren. Da hat sich atmosphärisch etwas verändert.

Warum kommt in manchen Gemeinden die Erkenntnis so spät, dass man diese Vorbildfunktion hat für die öffentliche Meinungsbildung?

Zum Teil wird das Problem immer noch unterschätzt. Da wird gesagt, na ja, jetzt haben wir hier ein NPD-Mitglied im Stadtrat, wir haben eine rechte Szene. Aber wirklich gefährlich werden können die ja nicht. Die Einstellung, dass wir den Anfängen wehren müssen, ist leider nicht überall vorhanden.

Kann man sagen, dass in manchen Kommunen und Gemeinden eine Kultur der Toleranz entstanden ist?

Ich denke, schon. In Städten wie Eberswalde, Schwedt oder Angermünde ist das Thema mittlerweile Bestandteil der örtlichen Kultur. Aber das ist etwas, woran man ständig und dauerhaft arbeiten muss. Für Demokratieentwicklung und die Entwicklung einer Toleranzkultur sind nicht nur die Institutionen, sondern vor allem auch die Menschen in unserem Rechtsstaat verantwortlich.

INTERVIEW: CHRISTINE BERGER