Die Stadt der Initiativen

Toleranz wird im brandenburgischen Eberswalde mittlerweile groß geschrieben. Rund 30 Initiativen versuchen in der Stadt das rechte Denken zu verdrängen und zivilgesellschaftliche Strukturen aufzubauen. Eine Bestandsaufnahme

von CHRISTINE BERGER

Die Kreisverwaltung in Eberswalde ist ein trister Plattenbau. Besonders am Monatsanfang, denn da nehmen düsteren Blicks Jung und Alt in den miefigen Wartezimmern des „Sozialhilfeturms“ Platz. Im dritten Stock, über dem perspektivlosen Elend, hat die Ausländerbeauftragte des Landkreises Barnim, Marieta Böttger, ihr Büro. Die Ausländer, die zu ihr wollen, müssen an den Sozialhilfeempfängern vorbei. So manch böser Blick begleitet ihren Weg nach oben. Doch bislang hätten es noch alle geschafft, heil bei ihr anzukommen, sagt Böttger und schreibt das nicht zuletzt dem Meinungsklima zu, das sich in Eberswalde grundsätzlich geändert habe.

Fremdenfeindlichkeit, das war seit dem Mord an dem Angolaner Antonio Amadeu im November 1990 das Stigma, das auch international für Schlagzeilen über die Waldstadt mit derzeit 43.000 Einwohnern sorgte. Seitdem ist viel Zeit ins Land gegangen, und den Ruf, eine fremdenfeindliche Stadt zu sein, versucht Eberswalde mit allen Mitteln abzuschütteln. Wer sich genau umschaut in dem Ort am Finowkanal, wird mit so viel Projekten gegen Fremdenfeindlichkeit konfrontiert, dass man sich fragt, wer in Eberswalde eigentlich nicht in Sachen Toleranz und Demokratiebewusstsein engagiert ist. Neonazis, Schlägereien an Hitlers Geburtstag und den dumpfdeutschen Geist gibt es allerdings nach wie vor in der Stadt, rund 50 Kilometer von Berlin entfernt, doch mittlerweile kümmern sich auch rund 30 Initiativen um das öffentliche Meinungsbild. Begegnungszentrum, afrikanischer Kulturverein, Kita-, Schul- und Jugendarbeit arbeiten Hand in Hand. Das Projekt „Demokratie leben“ etwa bildet Erzieherinnen in drei Kindertagesstätten fort, damit die Kinder lernen, eigenverantwortlich zu handeln und anders Denkende zu akzeptieren.

Nicht zuletzt wirbt auch die offizielle Homepage der Stadt Eberswalde mit dem Slogan „Toleranz – mach mit!“. Ein Link führt zur „Koordinierungsstelle für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit in Eberswalde“.

Im Plattenbau der Stadtverwaltung am Ortsrand walten Mohamed Hamdali und Petra Hoffmann zwischen Bauamt und dem Büro für Baumfällgenehmigungen. Die Stadtverwaltung hat der Koordinierungsstelle zwei Räume zur Verfügung gestellt und übernimmt die laufenden Papier- und Telefonkosten.

Den Boom der Initiativen gegen rechts erklärt Hamdali, gebürtiger Algerier mit deutscher Staatsbürgerschaft, mit der Haltung von Stadtverwaltung und Polizei. „Die haben mitgemacht und vermittelt, dass Intoleranz nicht akzeptiert wird.“

Vor allem Uta Leichsenring, bis Ende 2001 zehn Jahre lang Polizeipräsidentin von Eberswalde, hatte ihre Untergebenen strikt angewiesen, jedes fremdenfeindliche Verhalten sofort zu sanktionieren. Als Mitgründerin des „Netzwerks für ein tolerantes Eberswalde“, wurde die Polizeipräsidentin 1999 für ihr Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet.

Herd des Projektfiebers ist die Fachhochschule Eberswalde. 1.400 StudentInnen sind hier immatrikuliert, der Ausländeranteil liegt bei rund 4 Prozent. Viele der derzeit 43 immatrikulierten ausländischen StudentInnen kommen von Berlin täglich hierher, seit neuestem mieten sich aber auch etliche in den Plattenbauten am Stadtrand ein. Die Brasilianerin Stefanie etwa. „Die Leute sind freundlich“, sagt die 28-Jährige und scheint fast erstaunt über die Frage nach Ausländerfeindlichkeit.

Das war 1997 noch ganz anders. „Eines Tages kam eine ausländische Studentin zu mir und meinte, in diesem fremdenfeindlichen Klima könne sie nicht mehr atmen“, erinnert sich die Ausländerbeauftragte. Zusammen mit Studenten hob man an der FH eine Aktionswoche gegen Fremdenfeindlichkeit aus der Taufe. Seitdem gibt es den Verein Horizont, der an Schulen Aufklärungsarbeit leistet und über die Herkunftsländer der StudentInnen informiert.

Zusätzlichen Schub bekam die Vereinslandschaft im Sommer 2000 nach dem „Aufstand der Anständigen“. Die damalige Protestbewegung brachte nicht nur etliche tausend Menschen auf die Straßen, sondern auch die Koordinierungsstelle auf den Weg. Die Einrichtung eines Ausländerbeirats, der bei der Kreisverwaltung Barnim eine beratende Funktion hat, dürfte als jüngste Errungenschaft der neu aufgekeimten Toleranzbewegung gelten. „In der Verwaltung erleben viele nur die Problemfälle, wenn es um Ausländer geht“, so Böttger. Mit dem Ausländerbeirat hätten die rund 2.600 Ausländer im Landkreis die Möglichkeit, selbstbewusst und aus freien Stücken heraus mit Politikern in Kontakt zu treten.

„Das rechte Gedankengut hat sich in den privaten Raum verzogen“, konstatiert der Vertreter der Koordinierungsstelle Hamdali die Situation in Eberswalde. Trotzdem: Selbst wenn sämtliche Projekte wieder einschlafen würden, räumt er ein, „das Problembewusstsein in Eberswalde wäre heute ein anderes“.

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