Rote Garden an die Macht

Mit Hu Jintao und Wen Jiabao übernimmt die chinesische 68er-Generation in Peking die Regierungsgeschäfte. Der Generationswechsel an der Spitze ist überfällig und zeigt sich im Stimmverhalten der Delegierten des Volkskongresses

aus Peking GEORG BLUME

Nun sind die 68er endlich auch in China an der Macht. Am Samstag und Sonntag wählte der Nationale Volkskongress, das einmal im Jahr für ein bis zwei Wochen tagende Scheinparlament der Volksrepublik, nacheinander zwei 60-Jährige in die höchsten Ämter der Republik. So übernahm Hu Jintao, der auf dem 16. Parteitag der KP im vergangenen Herbst bereits zum Generalsekretär gekürt wurde, auch das Amt des Staatspräsidenten von Vorgänger Jiang Zemin. Und Wen Jiabao, bisheriger Vizepremier und seit dem 16. Parteitag die Nummer drei der KP, erhielt den Posten des Premierministers. Beide hatten keine Gegenkandidaten und ernteten von rund 2.900 gültigen Stimmen nur 3 beziehungsweise 4 Gegenstimmen bei 3 beziehungsweise 16 Enthaltungen.

Damit haben Hu und Wen ihr Ziel erreicht – nach einem über dreißigjährigen Marsch durch die Institutionen der Volksrepublik. Gemeinsamer Ausgangspunkt ihrer politischen Laufbahn aber war die chinesische Kulturrevolution, deren Faszination vom Umsturz aller Institutionen des bürokratischen Parteistaats ausging und die bis hin zu Teilen der politisch aktiven 68er-Generation in Deutschland ihre Unterstützer fand.

Hu, heißt es in seinem offiziellen Lebenslauf, „begann 1968 die Arbeit auf der Basisebene in Chinas Westprovinz Gansu“. Mit anderen Worten: Er gehört zur Generation der berüchtigen „Roten Garden“, die damals weite Teile Chinas ins Chaos einer von jugendlichen Revolutionären diktierten Willkürherrschaft stürzten. Ebenso Wen, von dem der offizielle Lebenslauf in diesen Jahren nur sagt, dass er 1965, am Vorabend der Kulturrevolution, der Partei beigetreten sei. So weiß man zwar nicht, inwieweit sich Hu und Wen aktiv am mörderischen Regiment der Garden beteiligten. Doch allein die Tatsache, dass ihre Laufbahn in den zehn Jahren der Kulturrevolution von 1966 bis 1976 glatt verlief, unterscheidet sie von ihren Vorgängern wie dem Mao-Nachfolger Deng Xiaoping und dem bisherigen Premier Zhu Rongji, die während der Kuturrevolution zu Jahren schwerer körperlicher Arbeit verbannt wurden.

Dennoch war der Generationswechsel an der chinesischen Regierungsspitze überfällig. Das zeigte sich vor allem an den Voten für den bisherigen Präsidenten Jiang Zemin, der als Oberbefehlshaber der Armee bestätigt wurde. Jiang erntete immerhin 98 Gegenstimmen und 122 Enthaltungen. „Einige Abgeordnete betrachteten Jiang als zu alt für sein Amt“, so die Hongkonger Abgeordnete Rita Fan Hsu Lai-tai. Das Altersargument galt indes nicht für den 63-jährigen Zeng Qinghong, der bei seiner Wahl zum Vizestaatspräsidenten die meisten Gegenstimmen (177) und Enthaltungen (190) hinnehmen musste. Doch Zeng galt als Jiangs rechte Hand, so dass auch die Kritik an ihm ein Votum für den Führungswechsel darstellt. Dass Kritik überhaupt möglich war und die Abstimmung geheim blieb, dafür zeugten zwei Delegierte, die ihre Stimme für einen berühmten chinesischen Fernsehclown abgaben.