Gewerkschaft: Schröder macht arm

DGB, Ver.di und Sozialverbände laufen Sturm gegen die Reformvorschläge des Kanzlers. Notfalls wollen sie vor dem Verfassungsgericht klagen. Und auch im arbeitnehmerfreundlichen Flügel der SPD-Fraktion formiert sich langsam Kritik

von ULRICH SCHULTE

Es hat ihm einfach gereicht. Michael Sommer hat gestern die Krawatte abgestreift und ist, die Axt in der Hand, losgezogen – ein bisschen Holzhacken am Nachmittag. Dampf ablassen nach der Kanzlerrede vom Freitag. Die war hart für den DGB-Chef.

Schröders Reformplan fehle „ein deutlich strukturierter Ansatz zur Wirtschaftspolitik“, sagte Sommer gestern der taz. Auch könne der Faktor Arbeit die sozialen Sicherungssysteme allein nicht tragen. Jegliche Idee, diese über Steuern zu finanzieren, fehle. Kurz: Die Reform sei ein „Ausgabenkürzungsprogramm, das viele Leute in die Armut treiben würde.“ Auch von der Gewerkschaft Ver.di kamen scharfe Töne: „Es ist ein Skandal, dass die Bundesregierung bei den sozial Schwachen Einsparungen fordert und gleichzeitig mit dem Verzicht auf Vermögenssteuer den Reichen Geld schenkt“, sagte der Vorsitzende Frank Bsirske. Einschnitte beim Kündigungsschutz und der gesetzlichen Krankenversicherung seien die „falsche Therapie“.

Als „letzten Schritt“ schließt der DGB auch eine Verfassungsklage gegen die Regierungspläne nicht aus. „Wir werden aber zunächst in der Fraktion und in Ministerien politisch Druck machen“, so Sommer. Auch der Sozialverband Deutschland will gegen Einschnitte beim Kranken- und Arbeitslosengeld klagen. Die angekündigten Kürzungen seien ein massiver Eingriff in Eigentumsrechte von Arbeitnehmern, sagte Verbandspräsident Peter Vetter. Der Sozialverband wolle „Musterklagen vor den Sozialgerichten“ anstreben und notfalls bis vors Bundesverfassungsgericht ziehen. Mehr als Drohgebärden sind dies jedoch zunächst nicht – liegt doch noch nicht mal ein Gesetz auf dem Tisch. Es würde Jahre dauern, bevor sich Karlsruhe damit beschäftigen könnte.

Die geplanten Kürzungen für Arbeitslose werden besonders Menschen in Ostdeutschland treffen. Dort leben überdurchschnittlich viele Bezieher von Arbeitslosenhilfe – die der Kanzler mit der Sozialhilfe zusammenlegen, sprich: abschaffen will. „Wenn man nur Arbeitspolitik beschneidet, kommt Ostdeutschland nicht aus der Krise“, sagte dazu DGB-Chef Sommer.

Auch in der eigenen Partei formiert sich langsam eine kritische Masse gegen des Kanzlers Regierungserklärung. Für den linken SPD-Flügel hatte sich schon am Freitag die Abgeordnete Andrea Nahles zu Wort gemeldet. Gestern ließ sich Ottmar Schreiner, Vorsitzender der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, mit den Worten zitieren: „Bei solchen Ankündigungen glauben die Leute, die Parteien werden austauschbar“. Er werde im Parlament weder die kürzere Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes noch die Senkung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau mittragen.

Dennoch drückt die SPD-Führung aufs Tempo: Fraktionschef Franz Müntefering will die Eckpunkte der Reform bis zum Sommer auf den Weg bringen. Dies gelte für die Gesundheitsreform, die Modernisierung der Gemeindefinanzen und des Arbeitsmarktes, die Mittelstandsförderung sowie die Handwerksordnung, so Müntefering. Und behauptete: Die Fraktion werde dem Kanzler volle Rückendeckung geben.

Arbeitgebern und Wirtschaftsvertretern gehen die Vorschläge nicht weit genug. Mehrere Vorstandsvorsitzende großer Konzerne lobten zwar Ansätze der Rede, zeigten sich aber insgesamt enttäuscht. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt nannte die Kanzlerrede „halbherzig und diffus“. Doch wenigstens einer ist zufrieden – der Kanzler selbst. Welche Note er sich für die Rede geben würde? „Ein ‚Befriedigend‘ als Urteil hielte ich für ungerecht“, sagte er am Wochenende.