Unschuldslamm Blair

Tony Blair ist über den Hutton-Bericht hocherfreut: „Er lässt keinen Raum für Zweifel“, meint der britische Premierminister

VON RALF SOTSCHECK

Besser hätte es für Tony Blair nicht kommen können: Lordrichter Brian Hutton hat gestern für den britischen Premierminister, seinen früheren Chefberater Alastair Campbell und seinen Verteidigungsminister Geoff Hoon eine Ehrenerklärung abgegeben: Die Politiker haben weder das Irakdossier vom September 2002 aufgebauscht und die vom Irak ausgehende Gefahr übertrieben, noch haben sie den Wissenschaftler David Kelly als Quelle für den BBC-Bericht bloßgestellt, in dem diese Behauptung im Mai letzten Jahres aufgestellt wurde.

Rüge für die BBC

Zu diesem Ergebnis kam Hutton in seinem abschließenden Bericht zum Tod Kellys. Es bestehe kein Zweifel, dass sich Kelly im Juli 2003 das Leben genommen habe, heißt es in dem Bericht, der gestern Mittag veröffentlicht wurde. Die Hauptschuld an der Affäre weist Hutton der BBC zu. Aufgrund der widersprüchlichen Notizen des BBC-Reporters Andrew Gilligan, von dem die umstrittene Radiosendung stammte, sei es nicht möglich, zweifelsfrei festzustellen, was Kelly ihm damals gesagt habe.

Dennoch ist Hutton davon überzeugt, dass Kelly die Regierung nicht beschuldigt hat, wissentlich die falsche Behauptung in ihr Dossier aufgenommen zu haben, dass der Irak seine Waffen binnen 45 Minuten einsatzbereit haben könnte. Alles, was in dem Irakdossier stehe, sei von den Geheimdiensten abgesegnet worden. Ob die mit ihrer Einschätzung falsch lagen, gehe über den Auftrag seiner Untersuchung hinaus. Er habe lediglich zu beurteilen, ob die Regierung unehrenhaft gehandelt habe.

Das habe sie nicht – ganz im Gegensatz zur BBC. Gilligans Vorwürfe entbehrten jeder Grundlage, meint Hutton. Das Management der BBC habe versagt, weil es Gilligans Gesprächsnotizen nicht unter die Lupe genommen habe. „Die BBC-Direktoren müssen ebenfalls kritisiert werden“, heißt es in dem Bericht (siehe Seite 4).

Die heftige Kritik trifft den Sender unvorbereitet. Zwar hatte man mit Schelte gerechnet, aber nicht damit, dass die Schuldzuweisung so einseitig ausfallen würde. Der BBC-Aufsichtsratsvorsitzende Gavyn Davies sagte gestern, er denke über seinen Rücktritt nach. Er war es, der Gilligan trotz seiner Vorbehalte, die er bei der Aufsichtsratssitzung Anfang Juli äußerte, nach außen hin bedingungslos unterstützte.

Neben der BBC kam auch David Kelly nicht gut weg in Huttons Bericht. Zwar pries der Richter in seiner Schlussbemerkung die Arbeit des Waffenexperten, der mehr als 30-mal zu Inspektionen im Irak war, aber in seinem Bericht schreibt Hutton: „Sein Treffen mit Gilligan war nicht autorisiert. Indem er Geheimdienstangelegenheiten mit ihm diskutierte, hat er die Richtlinien des öffentlichen Dienstes missachtet.“ Niemand habe damit rechnen können, dass Kelly sich das Leben nehmen würde, sagte Hutton. Deshalb könne man der Regierung nicht vorwerfen, Kelly als BBC-Informanten öffentlich gemacht zu haben: „Es gab keine unehrenhafte oder verdeckte Strategie der Regierung, Kellys Namen heimlich den Medien zuzuspielen.“ Eine kleine Rüge erteilte Hutton dem Ministerium dann doch: Es hätte Kelly wenigstens davon in Kenntnis setzen müssen, dass es seinen Namen an die Medien weitergeben würde.

Tony Blair war verständlicherweise hocherfreut über den Bericht. Er sprach dem Lordrichter gestern seinen Dank aus und sagte, der Bericht habe ihn und seine Regierung vollständig rehabilitiert. „Ich akzeptiere den Bericht voll und ganz“, sagte Blair. „Er lässt keinen Raum für Zweifel.“ Da irrt Blair. Hutton hat die Aussagen und Beweise abgewogen und die Glaubwürdigkeit der Zeugen bewertet. Die britische Öffentlichkeit, der diese Aussagen und Beweise auch vorliegen, weil Hutton sie ins Internet gestellt hat, zieht andere Schlüsse daraus: Bei einer Umfrage glaubten 48 Prozent der Befragten, dass Blair lügt.

So sexy wie zuvor

Fest steht, dass die Regierung nicht nur das Dokument insgesamt „sexier“ gemacht hat, wie die unpassende Formulierung für die Kriegsvorbereitungen lautet, sondern dass Blair persönlich die Bloßstellung Kellys autorisiert hat, vier Tage nach dessen Tod jedoch das Gegenteil behauptete.

Das Boulevardblatt Sun veröffentlichte Teile des Berichts bereits gestern. Woher hatte die Zeitung, die mit ihrer Comicsprache und Biertischmoral täglich zehn Millionen Menschen erreicht, die detaillierten Informationen? Tory-Chef Michael Howard beschuldigte die Regierung, das Dokument der Sun zugespielt zu haben. Der Verdacht liegt auf der Hand: Blair steht tief in der Schuld des Blattes, das kurz vor den Wahlen 1997 zu Labour umgeschwenkt ist und dadurch Blairs Wahlsieg sicherte.

In letzter Zeit hat man bei der Sun laut darüber nachgedacht, zu den Tories zurückzukehren, die in manchen Meinungsumfragen inzwischen bei 40 Prozent liegen und zu einer ernsten Gefahr für Labour bei den Wahlen im nächsten Jahr werden könnten. Blair wies Howards Anschuldigungen zurück: Der Oppositionsführer solle entweder Beweise vorlegen oder seine Behauptung zurückziehen. Hutton kündigte an, dass er eine neue Untersuchung einleiten wolle, um der Quelle für den Sun-Artikel auf die Spur zu kommen.