ausgehen und rumstehen
: Erfahrungen beim Jazzbrunchen: Moabit is ooch Berlin (merkt euch das mal, liebe Amis!)

„The secret word of today is … fun!“, wie Pee-wee Hermann es einst formulierte, lange bevor der Kinderunterhaltungsstar wegen Erregung öffentlicher Ärgernisse verhaftet wurde. Und, ja kruzitürken, um gleich ein weiteres missverstandenes Wort zu gebrauchen, mehr wollte ich schließlich gar nicht! (Kruzitürken heißt nicht – wie man fürchten könnte – nagelt die Kümmeltürken an die Folterkreuze, sondern bezieht sich auf die aufständischen Kuruzen und Türken, die Wien belagerten, was man dort nicht gerne sah, und darum mit österreichischem Verknappungstalent zu Kruzitürken zusammenzog.)

Am Freitagabend stolperte ich ins Bassy, und es ging gleich los: Als ob sie nicht ohnehin die Mütter und Väter aller Partybands seien, absolvierte die Beat-Kommune The Rhythm and Beat Organization mit ihren 879 festen und lockeren Mitgliedern wieder einen dieser unerhörten Zweibühnenauftritte. Überall wo man hinschaute, spielte eine Band, dazwischen, mitten in der schwitzenden Crowd, stand einer oder eine auf einem alten Kühlschrankverpackungskarton, wackelte mit der Körpermitte und sang hübsche Hits, oder schlug sich (im Falle des Gastsängers) rhythmisch mit dem Schellenkranz auf die magere, garantiert blasse und schwarzhaarig gesprenkelte Franzosenbrust.

Das war sehr lustig und ließ in mir Zweifel keimen, ob Franzosen tatsächlich so wenig Humor haben, wie ich es ihnen immer unterstelle: Die „Scht’is“ habe ich noch nicht gesehen, Louis de Funes ist zwar lustig, aber wenn ich ihm zuschaue, kriege ich quasi seinen späteren Herzinfarkt vorab, und ansonsten? Wobei, andererseits: Jüngst erlebte ich im Supermarkt eine extrem lustige Situation mit einer Französin. Ich nahm eine Tütensuppe aus dem Regal, und weil sie doof gestapelt waren (oder ich ein Tollpatsch bin) fielen gleich noch drei weitere Suppenpackungen runter. Erschreckt wischte ich die Pakete unter die Kühltruhe, als plötzlich eine sympathische Frauenstimme aus einem Verkäuferinnenkittel neben mir kicherte: „Uiuiui, schon wiedör eine Unfall mit einö Suppe! Bist du verletztö?“ Nein, war ich nicht, im Gegenteil. So’n bisschen Suppe haut mich nicht um. Mich nicht! Höchstens polnische.

Am Samstagabend ließ ich alle Fünfe gerade sein, was übrigens bestimmt ein hübscher Ausdruck ist, sollte man zufällig als Starpianist arbeiten, obwohl die dann eher „alle Zehne“ sagen, denn auch die linke Hand hat bei Starpianisten alles Mögliche zu tun (albertinische Bässe), und lud Freunde zu Wein und gekauften Vorspeisen ein. Aber den nächsten Morgen begrüßte ich mit einem Frühstück im Meilenwerk, eine in Moabit ansässige Oldtimerausstellung, in der man Sonntags „Jazzbrunchen“ kann. Das bedeutet, man sitzt zwischen den schönsten Autos der Welt, guckt alten Männern bei Swing-Interpretationsversuchen zu und steht alle Nase lang auf, wackelt um einen Fiat Dino Bertone oder einen Aston Martin DBS herum, um sich noch ein paar Würstchen, eine Schaufel Mozzarella oder ein Gläschen Mousse vom Buffet zu krallen.

Am Nebentisch schenken sich derweil Eingeborene eingepackte Gewürzregale zum 50. Geburtstag. Meines Erachtens müsste man NeuberlinerInnen ohnehin erst mal eine zünftige Stadtteilrundfahrt aufs Auge drücken, als Pflicht, so wie den Einwanderungstest. Es kann doch nicht angehen, dass diese ganzen Amis denken, Berlin bestünde nur aus hübschen jungen Leuten mit Englischkenntnissen und schnieken WG-Zimmern in Kreuzberg. Pustekuchen! Sehense, dit hier, in Moabit, is nämlich ooch Berlin, und das eine kann man nicht ohne das andere haben. Und wenn man auch noch so viel in Clubs wie dem Scala herumsteht und Maulaffen feilhält, irgendwann sitzt man doch im Bus oder im Taxi mit einem, der beim Einsteigen „Und wat kann ick jejen Sie tun?“ grölt. Also am besten schnell dran gewöhnen.

JENNI ZYLKA