schurians runde welten
: Fußball ohne Tränen

„Es ist das erste Mal auf westfälischem Boden, dass 83.000 Zuschauer die Kulisse für ein Fußballspiel bilden.“ (Gerd Niebaum, BvB Dortmund)

Zufall oder Plan? Vorm heutigen Ligaauftakt im Westfalenstadion spricht ganz Nordrhein-Westfalen über Ruhrgebiet, Kirchturmdenken und neue Gemeinsamkeiten im Revier. Im Landtag wurde dazu sogar ein Gesetz auf den Weg gebracht. Und jetzt hat der neue Gemeinsinn auch noch den Fußball erwischt. Ausgerechnet zur Derbyzeit!

30.1. Dortmund – Schalke

So sorgt sich der frisch zum „Revierbürger“ gekürte ChefSchalker Rudi Assauer um seinen Club, sollte Borussa Dortmund „mal runter kommen“. Was immer das heißen mag. Ex-Borusse Assauer hat dann weiter gerätselt und die wirklich schändlich unkönigsblaue Frage gestellt: „Was wäre das Revierderby ohne Borussia Dortmund?“ Für Schalker ein Kapitalverbrechen, für alle anderen eine gute Frage:

Am Montag haben uns Aachen und Nürnberg schon vor Augen geführt, dass ein Kick ohne Zuschauer einer zenbuddhistischen Unterweisung gleicht – das Balltreiben wird nebensächlich, wenn niemand zusieht. Aber Fußball ohne Gegner?

Vielleicht dachte Assauer auch an die Spielebewegung der 1970er, die hierzulande unter dem Namen „Spiele ohne Tränen“ firmierte. Meine Schwester besaß dazu ein Buch mit Vorschlägen, wie man zur Abwechslung mal nichts als die Zeit totschlagen kann. Der Buchtitel zeigte eine Fotografie: Langhaarige Oberkörpernackte pritschten einen Globusballon durch einen Park. Das Luftkugelspiel sieht man heute noch bei antiglobalen Weltkongressen oder Grönemeyer-Konzerten.

Fußball ohne Tränen ist aber viel schwieriger als Kugelpritschen. Vielleicht können uns die Japaner noch einmal aushelfen: Sie sind nicht nur Erfinder des Ball-Pritschens, vor dreihundert Jahren haben sie auch eine Art Vorfußball betrieben: Beim Kemari musste man eine luftgefüllte Hirschhautblase möglichst lange hoch halten. Doch ohne Heulen ging auch das nicht aus: Dem besten Jongleur lag der Hof zu Füßen, der Versager musste im Garten schlafen. Nein, Fußball ohne Tränen geht nicht. Nicht am Freitag, nicht im Ruhrgebiet.

Im Gegensatz zum sentimentalen Manager hat sich Schalkes Präsident Gerd Rehberg längst eingestimmt aufs Rivalentreffen: der „Mutter aller Derbys – entweder gibt‘s ein 1:1 oder wir gewinnen 2:1“. Und auch Borussias Manndecker Christian Wörns kommt verbal gut aus der Pause: „Die Begegnung ist eminent wichtig für uns, weil wir noch oben rein rutschen wollen“, grätscht er, und schliddert weiter: „Wir können uns keinen Ausrutscher mehr leisten.“

Ähnlich besinnlich wie seinem Amtsbruder Assauer geht es derzeit nur BVB-Manager Michael Meier – ob der Finanzsuche gibt auch er den Grübelnden statt den handfesten Borusssen: „Wer Schalke im Vordergrund hat, der braucht keinen Hintergrund.“ Bei beiden: Entschieden zuviel Zen.CHRISTOPH SCHURIAN