Alles fließt verbindlich

Ein gelungener Balanceakt zwischen Stummsein und Lautaufschreien, zwischen privat und öffentlich: Mit ihrem neuen Album „Nichts muss“ schwingt sich die Berliner Musikerin Barbara Morgenstern zur Alanis Morissette des Laptop-Pop auf. Ein Porträt

„Für mich heißt ‚Nichts muss‘: Ich will mich zu nichts zwingen“

von ULF LIPPITZ

Barbara Morgenstern wirkt auf den ersten Blick unscheinbar. Als sie neben einem Mitarbeiter ihrer Plattenfirma auftaucht, sieht sie so gar nicht aus wie die toughe Künstlerin, die ihre Platten geradezu dogmatisch im Alleingang fertigt. Sie sitzt locker und entspannt in einem Badekorb vor der Treptower Arena und scherzt herum. Keine Allüren, viel Heiterkeit. Sie legt ihr Gesicht sehnsuchtsvoll in die Spätwintersonne, dann lugt sie wieder um die Ecke, um nichts zu verpassen. Ein Hin und Her zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit. So wie ihre Musik auf dem neuen Album „Nichts muss“. Privat. Öffentlich. Unspektakulär.

Ihre dunkelbraunen Haare hält ein Zopf zusammen. Man erinnert sich noch gut an den Selbstverstümmelungs-Topfschnitt, der das Cover ihres zweiten Albums „Fjorden“ zierte und sie als geerdete Künstlerin auswies. Das Album erschien 2000 und beeindruckte vor allem durch die Synergie von digitalen Klängen und leisem Songwriting. Morgenstern nahm die Platte in einer Datsche bei Eberswalde auf, wo Sonnenuntergänge sie inspirierten – und mancher Kritiker meinte deshalb, einer elektronischen Caspar-David-Friedrich-Schwelgerei aufzusitzen.

Das Attribut „romantisch“ schwebte unheilvoll im Raum. Nichts liegt der 31-jährigen Musikerin aber ferner: „Mit Romantik verbinde ich Kitsch. Riesiges Pathos. Wie bei 2Raumwohnung. Das bin ich nicht.“

Das aktuelle Werk hat sie in Berlin aufgenommen. Gleich um die Ecke der Arena liegt ihr Studio. Sie schätzt daran die Mischung aus Urbanität (Kreuzberg/Kneipen/U-Bahn) und Natur (Treptow/Park/Wasser).

Wenn sie könnte, würde sie aufs Land ziehen. Mit ihrem Freund. Aber der will nicht. Also bleibt Barbara Morgenstern vorerst hier. Nichts muss. Alles geht. Auch Berlin. Sie gluckst laut. Ihr Blick ist euphorisch, kein bisschen getrübt. Ihr letzter Ortswechsel liegt neun Jahre zurück. Damals zog sie aus ihrer Heimatstadt Hagen nach Berlin. In NRW hatte sie schon in der Schulzeit in Bands gespielt und mit einem Saxofonisten eine „Art klassische Oper für sechs Gitarren und sechs Schlagzeuge“ eingeübt.

In Berlin führte sie ihr Weg irgendwann direkt in die gerade boomende, ein neues Pop-Gefühl ausprobierende Wohnzimmer-Szene, die auch den Umgang mit der deutschen Sprache zu lockern verstand. Morgenstern nahm Stücke für den Kassetten-Versand „Hausfrau im Schacht“ auf. Natürlich allein. Gudrun Gut wurde auf sie aufmerksam und holte sie zu ihrem Label Monika. Das Debüt „Vermona Et 6-1“ erschien dort 1998. Das Motto ihrer Arbeit hat die eigenständige Künstlerin zum Titel ihres neuen Albums erkoren: Nichts muss! Das klingt wie ein Sich-gehen-Lassen, ein konkret verbindliches Egal. „Findest du? Für mich heißt das, ich will mich zu nichts zwingen“, verteidigt sich Morgenstern. „Der Titel erzählt vom Moment der Entspannung, in dem die wirklich guten Dinge passieren und die besten Ideen kommen.“ Sie fordert, offen zu sein – und bezeichnet sich als „geschlossenes System“. Morgenstern hasst nichts mehr, als andere Menschen bei ihrer Produktion zu beobachten. Nichts ging, als sie mit dem Produzenten Pole einige Tracks für ihr Album einspielen wollte. Plötzlich merkte sie, wie ihr schon der leiseste Dreher am Mischpult das Lied auseinander nahm. Sie spielte „Nichts muss“ dann im Alleingang ein. „Ich will nicht zu jemandem sagen müssen: Ey, jetzt mach das mal“, sagt sie. „Auch wenn der Prozess der Umsetzung nicht gerade mein Hauptmetier ist – also die Sounds zu suchen, die Bassdrum zu optimieren und sich ständig zu fragen: Groovt das jetzt oder nicht? Es ist eine Herausforderung, stundenlang am Computer zu sitzen und das herauszufinden.“

Das Ziel ihrer Arbeit ist, das Private öffentlich zu machen. Barbara Morgenstern berichtet in emotionalen Gedankenströmen über ihr Werden und Sein. Sie skizziert, malt nicht aus. Ihre alltäglich anmutende Lyrik erinnert an die Texte von Antye Greie-Fuchs von Laub – nur sind Morgensterns Reime weniger schneidend und viel versöhnlicher. „Jedem seine Einsicht“ heißt es auf „Kleiner Ausschnitt“. Das bedeutet auch, sich privat äußern zu dürfen, aber nicht öffentlich zu müssen. Gerade in diesen Tagen zwischen bevorstehendem Irakkrieg und dem innigen Wunsch nach Frieden wird das zum Balanceakt zwischen Stummsein und Lautaufschreien. „Ich fühle mich noch nicht bereit, mehr als meine Musik transportieren zu wollen“, sagt sie. So pluckert und drängt ihre Musik nach vorne – ein ewiger Quell minimaler Pop-Ideen und feiner Elektro-Loops. Barbara Morgenstern ist die Alanis Morissette des Laptop-Pop. Das mag unscheinbar klingen, ist in seiner Mimikry aber sehr groß.

Barbara Morgenstern: „Nichts muss“ (Monika/Labels). Morgenstern tritt am 27. 3. ab 22 Uhr in der WMF-Nachtbar im Café Moskau auf, Karl-Marx-Allee