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: Koks in der Margarine? Da kann nur die „Mundorgel“ weiterhelfen

Wann immer ich auf meinen Schokoladentafeln „Kann Spuren von Nüssen enthalten“ lese, bin ich beunruhigt: Ob Chocolatiers nicht genau wissen, was sie tun? Ob sie einfach ein paar Pulverprisen aus verschiedenen Soylent-Grün-Säcken in einen großen Topf werfen, je nach dem, Noisette-Geschmack, Tiramisu, Mandel, das Ganze kräftig rühren, und manchmal, wenn sie nicht aufpassen, krümeln sich auch noch ein paar Restspuren aus den Falten des Nuss-Säckleins dazu?

Eine feine Art, sich um seine Zutaten zu kümmern! Wenn das jeder machen würde. Dann könnte Margarine „Spuren von Koks enthalten“ und wir würden auf jeder Reise, jeder Reise, jeder Reise Margarine eimerweise, eimerweise essen. Was übrigens das Stück Nummer 249 aus meinem absoluten Lieblingsbuch, der „Mundorgel“, ist. Dem Buch, das man als Erstes auf eine einsame Insel mitnehmen sollte, noch vor dem Konversationslexikon, dem Tagebuch und „Ulysses“ (vielleicht kommt man da auf der Insel ja mal durch). Außerdem passt es in jede Fahrtenhemd-Brusttasche, also auch in die Ziegenfellfetzen der Robinsonade. Ach, schaurig-schöne „Mundorgel“! Wer weiß schon, dass sie nicht nach dem Maul, sondern nach dem ehemaligen Kreisvorsitzenden des CVJM, Horst Mundt, benannt worden ist! Doch jetzt wissen’s alle.

Seit etwas über 50 Jahren gibt es das Büchlein, der Verlag sitzt in einem Dorf mit dem pittoresken Namen „Waldbröl“, den sich wahrscheinlich Erich Kästner ausgedacht hat, und seit den 70ern steht der Text zu „Am Tag, als Conny Kramer starb“ drin. Und wenn ich Tocotronic wäre oder Mia oder Wir sind Helden, dann würde ich alles darum geben, einen meiner Songs irgendwo zwischen „Die Affen rasen durch den Wald“ und „Schön ist ein Zylinderhut, jupheida“ zu mogeln, denn ich kann mir keine größere Auszeichnung vorstellen. Zumal man heutzutage noch nicht mal mehr ins Lager muss, um in der „Mundorgel“ zu schmökern (die Unterzeile in den 50ern lautete: „Ein Liederbuch für Fahrt und Lager“). Zeltlager gibt es ohnehin nur noch in der Werbung.

Vermutlich machen sich Wir sind Helden aber nichts aus dieser Ehre. Der Einzige, der versucht den Mundorgel-Verlag zu bestechen, wird Xavier Naidoo sein. Das sehe ich schon kommen! Der schleimt sich doch mit „Der Herr knickt alle Bäume der Umgebung“ glatt an „When Israel was in Egypt’s Land“ und „Liebe ist nicht nur ein Wort“ heran, und das Schlimmste: Es wird den meisten noch nicht mal auffallen. Wenn der sich aber in meiner „Mundorgel“ breit macht, dann starte ich einen Boykott. Dann wird es sehr still im Zylka-Haushalt; kein „In einen Harung jung und schlank zwo drei vier“ mehr, kein „Ich armes welsches Teifli“, und auch, so schwer es mir fällt, kein „Als die Römer frech geworden“ mit allen 16 fabelhaften Strophen. Nur summen werde ich die Lieder hin und wieder mal leise. Wenn ich an meinen Boykott denke, werde ich jetzt schon traurig.

Aber es besteht ja doch noch Hoffnung, dass alles anders kommt. Dass ich im Sommer wieder mit der „Mundorgel“ in meiner Brusttasche in meinen Lieblingsclub in der Nähe des Rosa-Luxemburg-Platzes gehen werde, denn dort gibt es einen kleinen, von hohen Mauern eingefassten Hinterhof, in dem in medioker lauen Sommernächten oft ein lustiges Feuer in einer echten, rostigen South-Bronx-Tonne flackert, und dann sitzt man besoffen darum herum, lässt sich fürchterlich einräuchern und stellt sich vor, man sei mit den „Mädchen vom Immenhof“ an der Ostsee. Und genau dann ist der richtige Zeitpunkt, um die „Mundorgel“ zu zücken. Jedenfalls wenn man vorhat, sich dort nie wieder blicken zu lassen.

JENNI ZYLKA